Wie die Ukulele die Welt erobert

Begonnen von udo_ukulele, 30. Mär 2020, 11:11:42

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Buhnenhuper

@Udo

Wer,wie ich, austeilt, muss auch einstecken können, also dein Antrag wird klar abgelehnt.😉

Also ich weis deine Post zu schätzen, die bringen ja auch etwas Leben ins Forum, also bitte weiter so
und nichts für ungut.

Frolicks

Gute Besserung, Buhnenhuper, das klingt nicht so richt wünschenswert, was du dir da eingehandelt hast.

Aber mal zurück zum Thema:

Zitat von: udo_ukulele am 30. Mär 2020, 11:11:42
[...] "Vielleicht ist die Ukulele deshalb wieder so beliebt geworden, weil sie die immer seltener gewordene Chance eröffnet, dass Menschen zusammen singen.
Außer dem sonntäglichen Gottesdienst und institutionalisierten Chören bietet die westliche Kultur kaum mehr Gelegenheit für spontanes Miteinander-Singen.

"Vielleicht" deutet mir daraufhin, dass hier Herr Kemper nun aber mal seine Sicht der Angelegenheit darstellen will. Das macht er zwar in dem ganzen Buch, klar, aber da er sich ja im Wesentlichen dabei auf Fakten bezieht, die andere zusammengetragen haben, besteht also die Arbeit meistens darin, Dinge zusammen zu schreiben, die schon irgendwo zu finden waren. Jetzt kommt aber seine Bewertung, seine Interpretation des zuvor Zusammengetragenen. Ob man dem zustimmt, ist ja eine andere Sache. Diskussion ist aber in diesen Zeit, in denen Viele ihre Meinung für die einzig wahre halten, aber dringend geboten, finde ich.
Und das es in unserer Gesellschaft viel weniger Gelegenheiten zum gemeinsamen Singen gibt als noch vor, sagen wir, hundert, hundertzwanzig Jahren, kann wohl auch kaum jemand ernsthaft bestreiten. Und ich kann für mich persönlich auf jeden Fall zu hundert Prozent unterschreiben, dass gerade das Singen für mich die größte Motivation war und ist, Ukulele zu lernen. Und ich habe Grund zur Annahme, dass ich damit nicht alleine stehe. Jedenfalls kenne ich deutlich mehr Ukulele-Schrummel-und-Sing-Gruppen, als Ukulele-Ensembles, die rein instrumentale Arrangements spielen.

Zitat von: udo_ukulele am 30. Mär 2020, 11:11:42

Es scheint, als verkomme das Musikmachen mehr und mehr zu einer Privatangelegenheit, so wie sich ein jeder mit dem Musikhören über Kopfhörer
in seinem persönlichen Klangkäfig im Alltag abschottet. Die Wiedergeburt der Ukulele aber demonstriert, dass es bei vielen Menschen ein tiefsitzendes
Bedürfnis gibt, Musik als eine soziale Veranstaltung wechselseitiger Kommunikation zu begreifen. Zunächst geht es ja nur darum, ein bisschen kollektiven
Lärm zu veranstalten, eine Art anstrengungslose Solidarität zu propagieren.

Anders kann ich mir die ganzen Ukulele-Treffen und -Stammtische, deren Zahl ja immer noch ständig wächst, auch eigentlich nicht erklären. Ich würde nicht so weit gehen zu behaupten, dass das nur für die Ukulele gilt. Schließlich gibts ja schon länger Mandolinen-Orchester oder Akkordeon-Orchester, in denn instrumentenspezifisch Gemeinsamkeit gelebt wird. Aber das Singen steht meiner Meinung nach dabei eher nicht im Vordergrund, anders als bei der Ukulele.
Und in Chören wird natürlich gemeinsam gesungen, aber immer streng nach Notenarrangement und Anleitung durch eine/n Dirigentin.

Zitat von: udo_ukulele am 30. Mär 2020, 11:11:42

Für ein gemeinsames Ukulele-Spiel braucht man weder Mikrofon noch Verstärker,
nur den vielbeschworenen "Spaß an der Sache".

Das finde ich persönlich einen ganz, ganz wichtigen Punkt. Stundenlanges Kabelverlegen und -verstöpseln, wie es zu einer "richtigen" Band dazu gehört, kann mir persönlich nach etwa zwei Jahrzehnten, die ich das gemacht habe, gestohlen bleiben. Ok, bei Jazz-Bands ist das vielleicht nicht so arg, aber immer noch genug.
Klar, wenn man mit ner Ukulelen-Combo vor größerem Publikum auftreten will, geht das auch wieder los. Aber das ist ja erstmal nicht die Hauptmotivation Ukulele zu spielen, denke ich. Meine jedenfalls nicht. Im Gegenteil: Koffer auf, die Schrubbe raus, und los geht's, das finde ich am attraktivsten an der ganzen Sache.

Zitat von: udo_ukulele am 30. Mär 2020, 11:11:42

Zusammenschlüsse von Ukulule-Fans - das haben kürzlich sozialwissenschaftliche Studien in den USA gezeigt
- münden fast zwangsläufig in demokratischen Entscheidungsstrukturen. Denn die Ukulele steht für Bescheidenheit und symbolisiert das Gegenteil von Anmaßung.

Tja, da hätte mich jetzt an der Stelle aber auch mal interessiert, von welchen Studien in den USA Herr Kemper da schreibt. Ich habe in den vergangenen Jahren zwar nicht durchgängig, aber doch immer mal wieder und auch intensiver zu Studien über Ukulelenszenen in aller Welt recherchiert, und kann nicht behaupten, allzuviel gefunden zu haben. Aber vielleicht hat Herr Kemper ja noch geheime Quellen. Die nicht zu nennen, ist natürlich wirklich sehr schwach.
Aber seine Interpretation der Ukulele als Symbol für Bescheidenheit kann ich absolut nachvollziehen. Mein erster Gedanke war: Einer der ersten Gedanken, die ich hatte, als ich das erste Mal eine Ukulele in den Hängen hielt war ungefähr: "Das kleine Ding, das kommt so angenehm unambitioniert daher, ganz anders als so ne große Gitarre. Cool. Damit kann man bestimmt viel Spaß haben. Da erwartet keine große Wunderdinge, da kann man einfach Musik machen und ein bisschen dazu singen." Diese erste, spontane Einschätzung hat sich für mich übrigens bewahrheitet. 

Zitat von: udo_ukulele am 30. Mär 2020, 11:11:42

Vielleicht lässt sich die Ukulele als ein Symbol der Globalisierung, als das Instrument des herrschaftsfreien Diskurses, als Wegbereiter zwangloser Kommunikation
durch selbstgemachte Musik begreifen. Sie stiftet soziale Beziehungen, erfordert Rücksichtsnahme und Respekt, stabilisiert Selbstwertgefühle durch schnelle
Erfolgserlebnisse.

Dass die Ukulele Beziehungen stiftet, dafür brauchen wir keinen Beweis: Den haben wir hier gerade alle vor uns. Dieses Forum ist eine Form der gelebten Beziehung. Und ich kann sagen, dass ich durch dieses Forum eine ganze Menge Leute in verschiedenen Teilen dieses Landes - und inzwischen auch im Ausland - persönlich kennen gelernt habe. Ob diese Beziehungen "herrschaftsfrei" sind, ist eine philosophische Frage, über die dürfen sich andere gerne ihre gelehrten Häupter zerbrechen. Ich spiele lieber mit den Leuten Ukulele. Das aber in der Regel sehr zwanglos.
Und dass es die Ukulele, historisch wie aktuell, nicht ohne Globalisierung geben würde, ist ja wohl auch klar. Das muss ich sicher nicht mehr ausführen, oder?

Zitat von: udo_ukulele am 30. Mär 2020, 11:11:42

Immer noch gilt der kleine Viersaiter als willkommenes Außenseiter-Instrument. Vielleicht wollen auch immer mehr Menschen keine "normalen"
Instrumente mehr spielen, um mit ungewohnten Werkzeugen neue musikalische Territorien zu erobern. Wer Klavier, Violine oder Gitarre lernt, muss sich in eine
bereits bestehende Hierarchie der Fertigkeiten und der gesellschaftlichen Akzeptanz erinordnen. Bei der Ukulele ist er Horizont noch weit offen. In der etablierten
Welt von Pop und Klassik kommt die Ukulele wie ein Gesetzloser daher, der sich um keine Regeln und um keine Statusfragen schert."


Ich kann die Male nicht mehr zählen, jedenfalls nicht an zwei Händen und zwei Füßen, die ich hier schon gelesen habe, dass die Ukulele ja gegenüber Gitarre und anderen Instrumenten den Vorteil hätte, dass es noch keine normierten Regeln des Spielens in Form von allgemein anerkannten Lehrbüchern gibt. Und noch öfter habe ich gelesen, "erlaubt ist, was gefällt", und nichts anderes sagt Herr Kemper hier ja auch. Natürlich bemüht er sich dabei, etwas gebildeter als ich zu klingen.
Ob die romantisierende Wildwest-Metapher wirklich nötig wäre? Vermutlich nicht.


Kurz: Der Stil ist Geschmacksache, und bei allem würde ich ihm auch nicht zustimmen. Denn auch für kleine Ukulelentreffen gilt ja: Auf jedem Schiff, das dampft uns segelt, gibt es eine/n, der/die Sache regelt. Irgendwer muss so ein Treffen anleiten, sonst passiert nix. Nicht mal bei drei oder vier Leuten. Und das sind ja dann auch schon wieder Ansätze von Machtstrukturen. Insofern würde ich das mit dem "herrschaftsfreien Diskurs" auch nicht glauben.
Aber immerhin geht es ja noch nicht primär um die wichtigste Form von Macht im Kapitalismus, um Geld. Jedenfalls nicht bei den Treffen zu denen ich gern fahre. Weshalb ich skiffle zustimme, dass die meisten der wie Pilze aus dem Boden schießnenden Festivals mit professionellen Acts und Workshops sicher gut auf mich verzichten können. Ich auf sie in den allermeisten Fällen auch.

Form also hm. Aber in der Sache sehe ich nicht viel, außer dem gerade Geschriebenen, bei dem ich Herrn Kemper widersprechen würde.

So, sorry, das musste raus. Da ist noch mal der Kulturwissenschaftler in mir durchgekommen. Der hat halt auch Quarantäne-Symptome...  ;D
I plink, therefore I am.

Bebopalula

Danke @frolicks für den etwas längeren Beitrag, mit dem ich mich gut anfreunden kann. :)

Ich besitze das Buch seit einem Jahr (Geburtstagsgeschenk) und habe wegen seiner Dicke lange nicht hineingesehen.  :-\
Irgendwann war Zeit genug und ich habe es mir dann doch vorgenommen und war fasziniert von der Vielfalt des Recherchierten, der Ukulelen-Geschichte, der Beatles-Geschichte, der Hawaii-Legenden, um nur einige zu nennen. Und ich bin auch mit dem Fazit von Peter Kemper sehr einverstanden, weist er doch auf etwas hin, was die meisten von uns, die in den letzten Jahren mit dem Ukulelenspiel begonnen haben, ebenfalls empfinden: Dem menschlichen Bedürfnis nach freiem Spiel kann Ausdruck gegeben werden mit einem Medium, das zu Selbsttätigkeit, zu Kreativität, zur eigenen Emotionalität und im besten Falle auch zu Kommunikation einlädt. Auch der herrschaftsfreie Diskurs, den Kemper formuliert, ist nicht anrüchig, denn weder spielen Befehl und Gehorsam noch Durchsetzungsmacht beim Ukulelenspiel eine Rolle (was Übungsleiter/innen und Musiklehrer/innen wahrscheinlich auch strikt ablehnen würden). ;)
Im Gegenteil: Gerade in funktionierendem Musik- (Schul-) Unterricht weiß man, dass die Chancen für Sozialverhalten, dem kulturellen Austausch und der Verständigung über gemeinsame Werte besonders groß sind. Beispiele, die hier bereits öfter gepostet wurden, machen deutlich, wie wichtig gerade dieses kleine, leicht lernbare Instrument, für eine musikalische und damit auch demokratische Bildung sein kann. :)
___________________________________________
https://www.youtube.com/user/BebopalulaUke/videos

udo_ukulele

#18
Das Buch hat mich auch auf  seehr viele Ukulele-Spielern aufmerksam gemacht, u.a. George Formby und Tiny Tim.
Bin froh von diesen lustigen Gesellen gehört zu haben.
Auch mit Spielerinnen wie Victoria Vox oder Tamaine Gardener (auf die ich wohl sonst nur schwer gekommen wäre) die
äußerst reizend sind, was sicher nur an der Ukulele liegt.  ;D

Das ist übrigens Tamaine Gardener 2011. Wer ohne Fehl ist, möge den ersten Stein werfen.


isso

Heute mittag aß ich mit meiner Frau herrschaftsfrei kulturgeschichtlich global konnotierte Karoffeln. Letztere haben mit Ukulelen gemeinsam, dass sie weder ihren Gebrauch noch das gegenseitige Verhalten der sie gebrauchenden Menschen bestimmen. Meine Frau hätte mir z.B. - was nicht ihre Art ist - den Befehl geben können, als Beilage Spiegeleier zu bruzzeln. Ich wage zu behaupten: die Kartoffeln hätten nicht aufgemuckt. Ebensowenig sind Ukulelen durch An- oder Abwesenheit von Chefs verstimmt. Darin gleichen sie anderen Musikinstrumenten.

Kemper schreibt: "Wer Klavier, Violine oder Gitarre lernt, muss sich in eine bereits bestehende Hierarchie der Fertigkeiten und der gesellschaftlichen Akzeptanz erinordnen". Natürlich muss man nicht: ich habe von noch keinem Musikinstrument gehört, das seinem Spieler befohlen hätte, es auf bestimmte Weise zu spielen oder zu erlernen. Es mag Konventionen geben, aber die können gebrochen werden. Die Geschichte der Gitarre ist voller Konventionsbrüche: Charlie Christian, Jimmy Hendrix, Derek Bailey usw. Niemand muss sich beim Musikmachen irgendwo einordnen, egal, welches Instrument gespielt wird.

Dass mit der Ukulele "neue musikalische Territorien erobert" würden, wie sich Kemper in der ihm eigenen bescheidenen Weise auszudrücken gefällt, entspricht wohl kaum dem Eindruck, den man in diesem Forum und auch bei Youtube gewinnen kann. Die erdrückende Mehrheit der Uke-Spieler singt brav Cover-Versionen irgendwelcher Popsongs oder ähnliches. Wenn statt der Ukulele eine Gitarre als Begleitinstrument verwendet würde, änderte sich wenig. Oder umgekehrt: erobert man "neue Territorien", wenn man zur Begleitung desselben Songs mit den gleichen Harmonien statt einer Gitarre eine Ukulele benutzt? 

Kemper erfreut das surrealistisch eingestimmte Gemüt mit der Behauptung, die Ukulele stifte soziale Beziehungen. Abgesehen davon, dass nicht jede "soziale Beziehung" für jeden wünschenswert ist, stiftet eine Ukulele ebensowenig wie ein Esel oder eine Kartoffel. Dort, wo Menschen gleich ausgerichtet sind, mögen "soziale Beziehungen" der Fall sein, wie sich am Beispiel der Stammtische ersehen lässt. Das ist aber keine Besonderheit der Ukulele.

Dass man im Prinzip keinen Verstärker für die Ukulele braucht, ist nicht so sensationell, wie Kemper es zu suggerieren können glaubt. Instrumente, die elektrische Verstärkung benötigen, sind doch eher in der Minderheit.

Auch sollen Selbstwertgefühle durch schnelle Erfolgserlebnisse stabilisiert werden. Laut Kemper ist auch hier wieder die Ukulele am Werk. Nur ist es so, dass bei fast jedem Musikinstrument, so auch bei der Ukulele, die Lernkurve irgendwann flach ist oder wird. Werden dann die Selbstwertgefühle destabilisiert? Als zuverlässiger empfehle ich die tägliche wechselseitige Interaktion mit der Kaffemaschine.

Buhnenhuper

#20
Also Kartoffeln sind vielleicht herrschaftsfrei als einzelnes Individuum und insofern genauso unschuldig wie die einzelne Ukulele, doch insgesamt haben sie sich als Art vom alten Fritz missbrauchen lassen die imperialistische preußische Herrschaft zu verbreiten.
Jetzt muss man allerdings Soziokulturell annehmen, das die amerikanischen Indios, die ja die Kartoffel als erste kultiviert haben, als notorische Verlierer grundsätzlich unverdächtig sind, mit dem alten Fritz unter einer Decke zu stecken. Vielmehr muss man davon ausgehen, das der edle Wilde die Kartoffel uneigennützig nach Europa geschickt hat, weil er dachte, dass hier in Europa große Not und Elend herrscht, was sie an den bemitleidenswerten Einwanderern ja tatsächlich feststellen konnten.

In Analogie haben die friedfertigen Hawaiianer die Ukulele natürlich in die ganze Welt geschickt, um die Menschen mit ihrer Erfindung glücklich zu machen, ....