Bearbeitungsvergleiche für Ukulelenarrangements

Begonnen von Ukebychance, 24. Jul 2019, 08:23:14

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Ukebychance

ZitatFür ein Andante (so heißt das Stück nun einmal) ist das aber goldrichtig. 140 wäre Allegro.
So steht es zumnindest auf dem Metronom geschrieben. Aber das Andante op.31 no.1 wird allgemein viel schneller gespielt, so bei Viertel 150 oder punktierte Halbe 50.
Auf der Ukulele:

wie auf der Gitarre:

ZitatErschwert wird der Vergleich der Bearbeitungen dadurch, dass sie von verschiedenen Spielern präsentiert werden und auch durch die klanglich sehr unterschiedlichen Instrumente.
Ich hatte ja eigentlich vor, alle Beispiele in diesem Faden selbst aufzunehmen, aber als ich dann Wilfried Weltis akrobatische Fingergymnastik gesehen habe, habe ich von dieser Idee Abstand genommen.
Danke Ariane, in From Lute to Uke sind wirklich schöne Stücke, nicht zu anspruchsvoll arrangiert.

isso

@Ariane
Aus Torschlusspanik vor dem Brexit habe ich mir alle 3 Notenhefte von Tony Mizen (Renaissance, Barock, Romantik) zugelegt, wobei ich mich am ehesten über das Barockheft äußern kann. Hier finden sich auch etliche Stücke, die rund und komplex klingen aber erstaunlich einfach zu spielen sind.

Pazukulele

Zitat von: isso am 19. Nov 2019, 08:43:29
@Pazukulele: inwiefern bezieht sich Dein Kommentar auf das Zitat?
Kurz gesagt: Das Arrangement von Mizen überzeugt mich nicht.
The LORD was ready to save me: therefore we will sing my songs to the stringed instruments all the days of our life in the house of the LORD. (Isaiah 38:20)

Pazukulele

Zitat von: Ukebychance am 19. Nov 2019, 13:36:47
Aber das Andante op.31 no.1 wird allgemein viel schneller gespielt, so bei Viertel 150 oder punktierte Halbe 50.
Das kann ich nach einem Blick auf Youtube so nicht bestätigen. Deren Länge schwankt zwischen 1:10 und 2:38.
Hier das langsame Extrem:

Vielleicht langsam, aber dafür schön sauber und gefühlvoll gespielt!
1:20, 1:30, 1:35 ... alles dabei.
Was spricht also dagegen, die Anweisung des Komponisten ernst zu nehmen?
The LORD was ready to save me: therefore we will sing my songs to the stringed instruments all the days of our life in the house of the LORD. (Isaiah 38:20)

isso

Wegen Verstoßes gegen das Tempolimit schlage ich folgende Bestrafung für UkeByChance vor: mindestens 10 Punkte in Flensburg sowie sofortiger Führerscheinentzug!

Ukebychance

ZitatWas spricht also dagegen, die Anweisung des Komponisten ernst zu nehmen?
Andante heisst einfach gehend und je nach Person und Umgebung kann das sehr unterschiedlich gestaltet werden.
Samantha Muir hält sich selbst auch nicht an ihre Tempo-100-Vorgabe, sie fährt so etwa 130:

kleiner wolf

Hallo,

es scheint mir ein weit verbreitetes Missverständniss zu sein, die italienischen Votragsbezeichnungen eins zu eins als Tempoangaben zu verstehen. So können ein Grave, ein Largo und ein Adagio durchaus gleich schnell sein, aber einen unterschiedlichen Charakter. Auf einem Metronom sind die drei Bezeichnungen aber meist als aufeinanderfolgende Tempi angegeben, also Grave < Largo < Adagio. Schaut man sich aber z. B. die Partiten und Sonaten für Violine solo von Bach an, wird klar, das es so eindimensional linear nicht ist. Zudem sind die Tempovorstellungen je nach Epoche zum Teil recht unterschiedlich. Wie UkeByChance ja schon geschrieben hat, heißt Andante einfach gehend, schreitend und das wird und wurde zum Teil sehr verschieden aufgefasst. Auf alten Metronomen aus dem 19. Jahrhundert (und das ist ja auch rade die Zeit in der F. Sor gelebt hat) geht Andante zum Teil bis 152 Viertel pro Minute. Das ist auf meinem modernen Metronom schon Vivace (Andante geht da von 63 - 72).

Ich persönlich empfinde die sehr langsame Version hier als etwas unzusammenhängend was die Phrasierung angeht und das liegt meiner Meinung nach auch am Tempo. Zudem liegt auf jeder 1 ein starker Impuls und das macht es in meinen Ohren recht statisch. Samantha Muir dagegen legt meist auf nur jede zweite 1 (also alle zwei Takte) einen deutlichen Impuls, was mehr Flexibilität erlaubt und zu einer Vorwärtsbewegung führt, die in meinen Ohren der Bezeichnung Andante eher entspricht.

Wir wissen nicht sicher, was Sor sich unter Andante vorgestellt hat, aber meine musikalische Intuition sagt zumindest mir, dass 130 bis 150 das ideale Tempo wäre.

Viele Grüße

Clemens

Pazukulele

Zitat von: kleiner wolf am 20. Nov 2019, 21:07:24
Wir wissen nicht sicher, was Sor sich unter Andante vorgestellt hat, aber meine musikalische Intuition sagt zumindest mir, dass 130 bis 150 das ideale Tempo wäre.

Es soll natürlich gern jedem überlassen bleiben, was er intuitiv für das angemessene Tempo hält. Aber vielleicht können wir uns dem, was sich Sor vermutlich vorgestellt hat, doch ein bißchen präziser annähern.

Die von Dir erwähnte Taktung "bis 152" stammt von William Crotch, einem englischen Komponisten, der im Jahr 1800 seine Experimente mit Pendeln veröffentlichte, die er aus Frust über die seiner Meinung nach inkonsistenten italienischen Tempobezeichnungen angestellt hatte. Dabei ordnete er Andante tatsächlich im Bereich 126 bis 152 ein. Gleichzeitig stellt er jedoch fest, daß z.B. bei Händel Andante alles zwischen 72 und 153 sein konnte! Crotch schreibt allerdings auch:

ZitatEinige betrachten Adagio, Lento, Andante, Alla breve und Vivace eher als Bezeichnungen von Ausdruck und Geschmack denn als Zeit.

(Meine Übersetzung aus dem Englischen.)

Crotch kommentierte damit die seinerzeitige Musik des Spätbarock und der frühen Klassik. Mit Beginn der Romantik änderte sich dies jedoch. Denn Andante wurde

Zitatgenerell im 18. Jh. als etwas schnell und im 19. als etwas langsam betrachtet ... Auf frühen Metronomen (in den 1820ern) wurde Andante zu M.M. [M.M. = Mälzels Metronom] 60 zugeordnet, d.h., etwas langsamer als Moderato bei 80.

(Roland Jackson: Performance Practice: A Dictionary-Guide for Musicians. Routledge 2013, S. 12; meine Übersetzung aus dem Englischen.)

Sollte Sor, der 1839 starb, nicht ein völlig anderes Zeitgefühl gehabt haben als seine Zeitgenossen, so wäre demnach anzunehmen, daß auch er Andante als "langsam schreitend" verstand, höchstens aber als Mitteltempo.

Die Bezeichnung blieb freilich so vieldeutig, daß der Kulturhistoriker Wilhelm Heinrich Riehl noch 1855 (16 Jahre nach Sors Tod) darüber leicht verzweifelt anmerkte:

ZitatSchreibt man "Andante" vor, so ist das heutzutage schier so gut, als habe man gar nichts vorgeschrieben; denn diesem Wort steckt eine ganze Legion von Zeitmaßen im Leibe.

Lassen wir es dabei bewenden. Jeder suche sich das Tempo, das ihm am meisten behagt. Sor selbst hat unsere Interpretationsschwierigkeiten übrigens anscheinend vorausgesehen. In seiner "Methode" urteilt er nämlich:

ZitatMeine Vierundzwanzig Übungsstücke [= Op. 35] sind das leichteste, was man in dieser Gattung schreiben kann. Dagegen gestehe ich, bei meinen Vierundzwanzig Lektionen [= Op. 31] nicht Geduld genug gehabt zu haben, der Unterschied von dem einen zum anderen ist zu groß. Ich hätte dem Schüler dieselbe Aufmerksamkeit wie der Musik widmen sollen ...
The LORD was ready to save me: therefore we will sing my songs to the stringed instruments all the days of our life in the house of the LORD. (Isaiah 38:20)