Geschichte der Ukulele in Deutschland

Begonnen von hinnerk, 26. Feb 2012, 12:52:37

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hinnerk

Also ich spekuliere erstmal nur, die große Anzahl von Ukulelen aus dem Vogtland waren wohl in erster Linie für den Export vor allem nach Amerika und Anfang zwanziger nach England, da hat sich die Ukulele zum Modeinstrument entwickelt. Es soll auch um Reparationszahlungen gegangen sein.  Mitte der Zwanziger hat sie in Deutschland offensichtlich einen kurzen Hype erlebt (in den Goldenen). Zu der Zeit damals war die Ukulele in Richtung Jazz, Revue, Unterhaltung und dergl. orientiert. In der bündischen Jugend hat sie Einzug gehalten wie die Balalaika (u.a. Tusk wird ausdrücklich erwähnt), bin aber noch auf der Suche nach Belegen (z.B. Burg Ludwigstein). Ich kann mir dann vorstellen, daß die Ukulele im Dritten Reich eher auf Seiten der opponierenden Jugend (welcher Richtung auch immer) zu finden war (warum z.B. nicht bei den Jazz- und Swinganhängern). Bis jetzt alles Hypothesen. Ich denke nicht, daß sie in irgendeiner Weise mit der Ideologie des Dritten Reiches kompatibel war (ein kleines, freundliches und friedliches Instrument, mit Jazz assoziiert, aus dem Ausland kommend, ...). Bei den sogenannten \"ernsten\" Musikern war die Ukulele nur als fragwürdige Modeerscheinung bewertet und fernab jeder Kultur zugeordnet. Soweit erst Mal. Vielleicht hat jemand neue Ideen, neue Spuren, vielleicht regt sich Widerspruch. Ist schön, daß das Thema interessiert.

Pippinne

Das Thema find ich auch interessant, weiß aber nicht so viel darüber. Aber ich glaub im Vogtland saßen um die Zeit einige Instrumentenbauer. Ich hatte mir auf einem Flohmarkt eine alte Mandoline gekauft und bei der Recherche aufs Vogtland gekommen

FRS635

#17
Zitat von: GoschiMitte:
\"Kleine Schule für Ukulele. Griffbilder, Akkordsymbole und Songs allgemein verständlich. Von Fred Artmeier. Edition Dux München 1963\"
Mit diesem Heftchen, das es immer noch in einer neu gesetzten Auflage zu kaufen gibt, habe ich Ende der 70er Jahre Ukulele spielen gelernt. Natürlich ebenfalls in adf#h.
Ich auch, hatte ich ganz vergessen das Heft.  :shock:

Frolicks

Ihr Lieben,
das Thema interessiert mich auch, und zwar brennend. Allerdings kann ich historisch nicht so viel speziell zur Uke beitragen. Aber nur soviel: Es ist ein weit verbreitetes Missverständnis, dass Jazz unter den Nazis verboten war. Es gab zahlreiche deutsche Swingkapellen (die sich natürlich nicht so nannten, aber de facto Swing spielten) und etliche erfolgreiche Titel der späten 30er waren Coverversionen amerikanischer Komponisten (so wurde u.a. Duke Ellington\'s \"Caravan\" unter dem deutschen Titel \"Karavane\" ein Hit).
Näheres dazu bei Peter Wicke: Von Mozart zu Madonna. Eine Kulturgeschichte der POpmusik. Frankfurt/M: Suhrkamp 1998.

Darüberhinaus weiß Götz Alsmann sogar von farbigen Musikern, die bis Ende der 30er relativ unbehelligt in Hamburg tätig waren (hab mal ein INterview mit ihm gemacht, das z.T. veröffentlicht ist, Quelle bei Interesse).
Ich glaube, dass es ein in den 1950er Jahren bewusst gepflegtes Missverständnis war: Wir haben zwar nix gegen Adolf unternommen, aber wir haben immerhin Jazz gehört, und der war ja schließlich verboten! Also waren wir natürlich dagegen!\" So ungefähr...

Und auch lateinamerikanische Musik (mit entsprechend viel \"Neger\"-Percussion) war - in der Regel von einheimischen, also deutschen Musikern gespielt -, sehr erfolgreich (es gab in den frühen 30ern u.a. einen Rumba-Boom in Deutschland). Also wäre es nicht überraschend, wenn auch hawaiianische Musik und damit die Ukulele populär gewesen wären. Denn hawaiianische Musiker gab es nicht so viele in Europa, die nahmen also einheimischen Musikern nicht die Jobs weg, anders als amerikanische Musiker, die regelmäßig in Europa tourten (steht alles bei Wicke).
Als Exoten, die sogar was gegen die USA hatten (die wurden/werden in Hawaii ja gern mal als Quasi-Kolonialmacht gesehen), waren sie sogar potentielle Verbündete (zumindest symbolisch), könnte ich mir denken.

Eine Ukulele für Adolf? Würde mich nicht überraschen, da dürfen die Historiker gern weiter forschen...! ;-)

Viele Grüße
Patrick
I plink, therefore I am.

faltukulele

Zitat von: Frolicks... hab mal ein Interview mit [Götz Alsmann] gemacht, das z.T. veröffentlicht ist, Quelle bei Interesse ...
Das ist von Interesse! Wenn Du sie hier nicht nennen kannst oder magst, schick mir die Quelle doch bitte via PN.

Zitat von: Frolicks... die [USA] wurden/werden in Hawaii ja gern mal als Quasi-Kolonialmacht gesehen ...
wie das kommen könnte, ist Dir jetzt aber schon klar?

Viele Grüße

Christoph

Frolicks

Hallo Christoph, nee, kein Problem, ist nichts Geheimes, ich hatte die Angaben nur nicht zur Hand.
Also, das Interview mit Götz Alsmann steht in:

Torsten Eßer/Patrick Frölicher (Hrsg): Alles in meinem Dasein ist Musik... Kubanische Musik von Rumba bis Techno. Frankfurt/M.: Vervuert 2004.

Das Interview fängt auf Seite 477 an, die fragliche Stelle mit den Schwarzen in Hamburg oder Berlin kommt auf S. 485.
Es geht aber in erster Linie um die Rezeption lateinamerikanischer, und da vor allem afro-lateinamerikanischer bzw afro-kubanischer Musik in Deutschland, hat also nix mit der Ukulele zu tun.

Und warum die USA in Hawaii als Kolonialmacht gesehen werden, ist natürlich klar. Auch wenn das KOnzept \"NAtive HAwaiian\" ja schon gar nicht mehr so unproblematisch ist... aber das führt wohl zu sehr vom Thema weg...

Viele Grüße
Patrick
I plink, therefore I am.

hinnerk

Ich habe nun Einiges von und über A. Hitler, A. Rosenberg, B. von Schirach und P. Raabe gelesen. Das meiste davon hab ich zuhause, manches ist auf einschlägigen Nazi-Seiten zu finden (die kann man in Bayern unbehelligt lesen). Also Ukulele schliesse ich zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung und Wirkung aus. Interessant wären z.B. Produktions- und Verkaufszahlen (Import/Export). Die Recherchen dazu werd ich in ein paar Wochen starten. Für Leser die viel Zeit haben hier zwei weiterführende Tipps: http://opus.bibliothek.uni-wuerzburg.de/volltexte/2010/4187/pdf/Fackler_Widerstand_Propaganda.pdf; sowie: http://repositorium.uni-osnabrueck.de/bitstream/urn:nbn:de:gbv:700-2007091013/2/E-Diss699_Thesis.pdf.
Ansonsten hab ich mal versucht, alle deutschsprachigen Schulen für die Ukulele zusammenzustellen, bin schon bei 17. Bis zum nächsten Mal und Danke für Euer Interesse, Axel

Frolicks

Hallo Hinnerk/Axel
wie siehts denn mit ner Anfrage zur Firmengeschichte bei Brüko aus? Auf der Homepage steht ja, dass die Firma schon in den 30er Jahren begann, neben Geigen auch Ukulelen und Banjos zu bauen (http://brueko.de/geschichte.html). Mehr steht da zwar auch nicht, aber das heißt ja, dass es in den 30ern einigen Bedarf gab. Eventuell haben die ja so was wie ein Firmenarchiv? Falls das nicht alles im Krieg und auf der Flucht verloren gegangen ist, könnte es das doch auch eine ergiebige Quelle sein.

Nur ein Hinweis.

Viele Grüße
Patrick
I plink, therefore I am.

Havelbaude

Hi miteinander.

Kollege El Adrenalid bat mich, hier einen Beitrag zu posten, obwohl ich in Sachen Ukulelen eher unbeleckt bin. Hab nur eine einzige daheim, und zwar genau die, die der Raab früher immer spielte. Ich hatte sie nur 10 Jahre vor ihm :-)

Mein Großvater Erwin und dessen Bruder Kurt, beide Anfang des letzten Jahrhunderts geboren, kamen ursprünglich aus dem ehemals deutschsprachigen Teil Ungarns. In den 30er Jahren siedelten beide gemeinsam Richtung Deutschland aus und verdingten sich als reisende Musiker. Ihr Hauptinstrument war eine singende Säge, dazu spielten sie Gitarre, Banjo und (man ahnt es): Ukulele. Sie müssen recht gut gewesen sein. Meine Mama besitzt noch zwei alte Postkarten mit Motiven von ihnen, die ich hier nicht vorenthalten will (s.u.). Die Ukulele auf dem unteren Bild hat meine Mama auch noch (rückt sie aber leider nicht raus). Das gute Stück hat mit den Jahren etwas gelitten und ist gar mit Stahlsaiten bespannt. Aber der Perlmutt-Beschlag ist noch wunderbar. Die beiden Brüder blieben später in Berlin hängen und wurden sesshaft. Mein Großonkel machte in Berlin-Neukölln später einen Zauberer-Laden auf, den es sogar noch geben soll; sein Bruder (mein Opa) wurde ein gut-bürgerlicher Drucker. Beide Brüder sind mittlerweile verstorben.

mfg,
Havelbaude




hinnerk

Hallo oscar, vielleicht habe ich mich nicht genau ausgedrückt. Ich suche deutsche Quellen, die die Ukelele für Deutschland belegen (Bedeutung, Vorkommen, Einsatz, Pädagogisches ...).  Ich kenne das Buch \"Hawaiian Guitar ...\" wo über die \"Hawaiian Four\" berichtet wird und über die Mitwirkung beim \"Winterhilfswerk\", wo sie mehrmals den Spendenrekord brachen. In englischsprachigen Veröffentlichungen wird die Geschichte immer wieder erzählt in den verschiedesten Varanten und Details. Vielleicht kennt jemand deutsche Quellen und vielleicht auch Hinweise, wie es zu dieser Anekdote im Dritten Reich kam und wie sie berichtet und bewertet wurde grade im Hinblick auf die \"offiziellen Verlautbarungen \". Es geht ja um einen Zeitraum von mehreren Jahren! Lag bei A.Hitler in dem Fall nur eine Vorliebe für Exotismus vor? Allgemein gilt, daß er keine besondere Vorliebe oder Zuneigung zu Musik hatte, er liebte mehr die Inszenierungen. Daß er Ukulele spielte glaub ich eher nicht. Daß es neben der \"offiziell angeordneten Linie\"  ein reges und vielfarbiges musikalisches Leben (s.o. Swing, Jazz, ...) gab ist hinreichend belegt.  
 
Danke Havelbaude für deine Informationen, find ich ganz toll. vielleicht komm ich nochmal auf die zu.

El_Adrenalid

Zitat von: hinnerkhttp://daten.digitale-sammlungen.de/~db/bsb00004285/images/   Seite 343 ist ein Artikel;  http://daten.digitale-sammlungen.de/~db/bsb00004272/images/index.html?id=00004272&fip=qrsxseayasdasfsdrewqxdsydwxdsyd&no=5&seite=7  hier ist der andere, unten auf der Titelseite
Ein super Artikel! Ich zitiere:
Die Vervollkommnung der automatischen Pianos und Grammophone, und schließlich das Überhandnehmen des Automobilsports gaben dem Geschäft in Saiteninstrumenten einen schlimmen Stoß - da tauchte plötzlich das  U k u l e l e  auf

Neben automatischen Pianos (in der Hoch-Zeit dieses Intruments waren in Mitteldeutschland über 20.000 Menschen mit der Fertigung beschäftigt!) ist im Leipziger Musikinstrumentenmuseum auch eine deutsche Vorkriegsukulele zu sehen. Wie bei Havelbaudes Exemplar übrigens auch mit Stahlsaiten bespannt.
Das Museum lohnt sich wirklich, Mittwochs ist manchmal sogar der Eintritt frei.

ZitatAuf der Seite von www.musicaviva.com sind übrigens die Nachweise von vielen Ukulelen aus den zwanziger Jahren vor allem aus dem Vogtland zu finden, aber auch andere, insgesamt über fünfhundert Abbildungen aus Katalogen.

Auch ein großartiger Link! Ein Wunder, dass hier im Forum noch nie eine alte deutsche Ukulele auftauchte. Oder weiß sonst noch jemand von einer?

hinnerk

In meinem Paul Stark Katalog  (als pdf) von 1893 habe ich zwei achtel-gitarren die wie Ukulelen aussehen. Ich habs nur nicht raus, die abbildung hierrein zu zaubern. Auf Seite 143 des Katalogs, Nummern 7 und 11

El_Adrenalid

Zitat von: hinnerkIn meinem Paul Stark Katalog  (als pdf) von 1893 habe ich zwei achtel-gitarren die wie Ukulelen aussehen. Ich habs nur nicht raus, die abbildung hierrein zu zaubern. Auf Seite 143 des Katalogs, Nummern 7 und 11

Das klingt sensationell: Heimische Ukulelen schon 14 Jahre nach Ankunft der Braguinha auf den Sandwichinseln. Wohl eher ein Zufall?
Würd zu gern das Bild sehen! Wenn Du mir das pdf zukommen lassen könntest, probier ich mit ein paar Tricks es hier zu veröffentlichen.

Ein höchsterfreulicher Strang: Für solche Forschungszwecke war das Internet ja mal gedacht  ;)

Frolicks

An den Bildern wäre ich auch sehr interessiert, Hinnerk. Auch wenn ich vermute, dass es wohl kaum Adaptionen der Ukulele, sondern eher eines europäischen Instruments gewesen sein dürften, vermutlich sogar der Braguinha selbst.
Die hat ja bekanntlich außer der Ukulele auch in Lateinamerika zu verschiedenen Adaptionen geführt, etwa in Brasilien (http://de.wikipedia.org/wiki/Cavaquinho) oder in Puerto Rico und Venezuela (http://en.wikipedia.org/wiki/Cuatro_%28instrument%29).

In der Tat entwickelt sich dieser Thread sehr positiv.


Viele Grüße
Patrick


PS Bei den Bildern kann ich auch gern versuchen zu helfen, Hinnerk!
I plink, therefore I am.

Spottdrossel

Zitat von: hinnerkThe Evening Independent reported on 30 July 1924 that ukulele fever had hit Berlin hard. Germany wanted a ukulele in every home. The uke was promoted with special musical tunes, "Ukulele Heinie" and "Try Me on Your Cat" [must have lost something in translation], as examples. Every ukulele sale contributed to the paying of war reparations, as Germany put a big sales tax on musical instruments, it seems, for that purpose. Habe den Original-Artikel noch nicht auf der entsprechenden Zeitungsseite gefunden (Link: http://newspaperarchive.com/evening-independent/1924-07-30/page-9 )

Das ist sehr interessant.   Ich vorstelle mich schon ein Lied..    

In the winter of 1924, Berlin was hit really hard
Not by the blowing snow, but with a ukulele in every home!

\"Try Me on Your Cat\"...    das ist seltsam wie ein schon erwähnt. hehe  

Spottie