Alternative Namen zu Akkorden

Begonnen von skiffle, 11. Jul 2012, 13:57:39

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Ole Lele

Die böse Konvention, die uns die merkwürdigen Intervallbezeichnungen einbrockt, ist die, dass wir Töne nach diatonischen Buchstaben und Intervalle nach dem Buchstabenabstand benennen. So ist zwischen Tönen mit \"c\" vorne und solchen mit \"d\" immer eine Sekunde, sei sie nun \"groß\" (c-d), \"klein\" (cis-d), \"vermindert\" (cis-des) oder \"übermäßig\" (c-dis). Da zwischen den Leitertönen mal ein, mal zwei Halbtonschritte liegen, findet man unterschiedlich große Varianten der verschiedenen Intervalle, wenn man zwei beliebige Töne der C-Dur-Tonleiter kombiniert. Manche tauchen regelmäßig in zwei verschiedenen Größen auf (Sekunden, Terzen, Sexten, Septimen), da spricht man von \"groß\" und \"klein\", manche in nur einer, die nennt man \"rein\" (Primen, Oktaven, Quarten, Quinten). Bei den Quarten und Quinten gibt es zwei Ausnahmen: f-h (übermäßige Quarte) und h-f (verminderte Quinte). Beide Abstände betragen 6 Halbtonschritte, aber es liegen unterschiedlich viele Leitertöne dazwischen (f-g-a-h = Quarte, h-c-d-e-f = Quinte).

Das alles ist zugegebenermaßen ziemlich verwirrend, zeigt aber eher, was für komplexe Phänomene sich aus der simplen Durtonleiter ergeben, als dass die Konvention ungeeignet wäre.

Die Konvention zu hinterfragen, hilft, sie besser zu verstehen. Es ist auch gut zu wissen, wo die klassische Harmonielehre an ihre Grenzen stößt. Sie zu \"untergraben\" scheint mir hingegen nicht sinnvoll. Zwar kann man z.B. Intervalle auch in Cent ausdrücken und damit die Intervallstruktur eines Vollverminderten als (0,300,600,900) bezeichnen statt (1,b3,b5,bb7). Das ist letztlich das Gleiche wie Tabulatur statt Notenschrift zu verwenden. Der Großteil unserer abendländischen Musik beruht aber auf der Diatonik, so dass die Notenschrift unsere Tonhöhenvorstellung graphisch adäquat wiedergibt! Schon die Kinderlieder haben uns entsprechend geprägt, die Durtonleiter empfinden wir als natürliche Basis unserer Musik. Bei Notenschrift gelingt es mir daher viel eher, beim bloßen Lesen schon eine angemessene Klangvorstellung zu entwickeln, als bei der Tabulatur. Daher halte ich die klassische, an der Notenschrift orientierte Intervalltheorie für eine glücklichere Wahl als Ansätze, die zwar einfachere Regeln haben, gleichzeitig aber abstrakter sind.

Es gibt auch keine Unvoreingenommenheit gegenüber einem Akkord. Man erlebt ihn gefiltert durch die eigene Hörerfahrung und -erwartung und beurteilt entsprechend seine Spannungsverhältnisse. Tatsächlich erlebt man aber terzgeschichtete Vierklänge auch als solche - insbesondere den Vollverminderten. Daher wird man gerade als \"Unvoreingenommener\" darin einen weiteren Terzquintseptakkord hören und keinen Sextakkord. Auf die Idee kommt nur, wer das Rechnen anfängt. Oder wer in Griffschemata denkt, statt in Klangvorstellungen.

Viele Grüße
Ole

Juttalele

Ich habe hier weder von ,,böser" Konvention gesprochen noch verstehe ich unter ,,untergraben" eine wertende Gegnerschaft, Abneigung oder was auch immer du evtl. aus meinen Zeilen herausgelesen (oder hineinprojiziert) haben magst.

Wenn bei mir im Keller ein Wasserschaden ist, dann trage ich zunächst alle Kartons in einen trockenen Nebenraum, packe die untersten aus, um die darin verpackte Ware zu untersuchen, ob sie nass geworden ist ... und finde beim Aufräumen das ein und andere aus alten Zeiten wieder ... dabei kommen alte Erinnerungen hoch, gleichfalls betrachte ich all das aus der Sicht der Gegenwart – und erlebe somit die Vergangenheit völlig neu, alles andere wäre langweilig. So macht mir auch das Aufräumen Spaß.

Und da für mich alles Spaß macht und machen soll und kann ... bewahre ich mir diese Herangehensweise ... was nicht bedeutet, dass ich jeden Tag meinen Keller leer räume, es gibt ja noch andere Zimmer im Haus und darüber hinaus einen Garten ... und andere Gebäude, Orte, Städte und und und ...

Der Wasserschaden steht in diesem Falle als Gleichnis für die Überflutung des Gehirns mit einer Fülle von Details, die auf mich einprasseln wie heftige Regenschauer. Ab einem bestimmten Punkt mache ich einfach dicht (dann regnets auch nicht mehr rein).

Was die Details betrifft, die du (und andere) angesprochen hast: Ich bin gar nicht so un-bewandert in alledem ;) ...

Also noch einmal so kurz gefasst wie möglich: Es geht nicht darum, das eine an die Stelle des anderen zu setzen, um es damit zu vernichten (was ohnehin nicht möglich wäre).

(... vielleicht sollte ich demnächst mal die obersten Regale bei mir im ,,Laden" leer räumen ... da stehen dicke verstaubte Ordner mit der Aufschrift ,,MUWI" ... 1. bis ... Semester ...")

Liebe Grüße aus dem Komposthaufen (bitte auch wieder nicht abwertend verstehen, das tun leider viele, die halten das für Dreck)

Jutta

 :)

Juttalele

Als Ergänzung:

Ich finde das Notensystem übrigens keinesfalls verwirrend – verwirrend finde ich (z. B. auch in deinem Zitat) die Art und Weise der Vermittlung.

Wie ich bereits schrieb: Wenn ich die lineare Entwicklung, also die Geschichte der Notation gleichfalls mit der Entwicklung der Musikstile in Verbindung bringe und es auch so vermittle, gibt es einen roten Faden, an dem sich jeder orientieren kann.

D. h. ich würde nicht mit einer Jazz-Harmonie-Lehre anfangen, um das Pferd von hinten aufzuzäumen, sondern mit ganz einfachen einstimmigen Melodien. Die Mehrstimmigkeit ist noch gar nicht so alt ... die Notenschrift ebenso noch recht jung ... die Menschen leben aber schon ein paar Jahrtausende länger ...
Ja, im Grunde würde ich zunächst mit nur einem Ton beginnen! Mit Pfeil und Bogen vielleicht ... einer Saite ...
Aus diesem geht ja bereits der Dur-Akkord hervor.
http://www.lehrklaenge.de/HTML/die_obertonreihe.html
Damit hätte ich eine Grundlage, frei von kulturellen Konventionen.  D. h. Kultur- und Naturwissenschaft lassen sich durchaus auf einen gemeinsamen Nenner bringen.

Aber dieses ,,Zurück zum Ursprung", ,,Zurück zur Einfachheit" ... empfindet manch einer als ,,Rückschritt" – meiner Erfahrung nach vor allem jene, die sich in einem sehr komplexen und spezialisierten System eingerichtet haben und darin selbstverständlich zu Hause fühlen.

Das wäre alles kein Problem und ich würde schweigen ... wenn unser Bildungssystem auf diese Unterschiede Rücksicht nehmen würde! D. h. dass es ver-einzelt Spezialisten gibt, die es auf ihrem Gebiet zu herausragenden Leistungen bringen – während es auch viele Menschen gibt, die ein solches Bedürfnis gar nicht haben – deshalb aber keinesfalls weniger leisten und wert sind als die herausragenden Spezialisten. Sie nutzen ihre Zeit nur eben anders, flächendeckender vielleicht ... ragen nirgendwo sichtbar heraus ... und sind doch auf ihre Art etwas Besonderes und Einzigartiges.

Unser Bildungssystem nimmt darauf aber keine Rücksicht! Im Musikunterricht siegen meist jene, die ohnehin schon von Haus aus vorgebildet sind – auf eine Musikhochschule schaffen es noch viel weniger, die müssen bei der Aufnahmeprüfung fast schon ein Studium absolviert haben, um durchzukommen. Und hier dreht sich nun mal alles um die Schriftgelehrten in der Musikwelt! Ohnedem läuft da gar nichts. Und was für ein Stress mit alledem verbunden ist! Stunden und Stunden müssen die üben ... geraten dabei nicht selten in die Isolation ...

Musik war einst ein Kommunikationsmittel und hat sich zum (narzisstischen) Isolationsmittel verwandelt ...

Für mich jedenfalls gibt es hier nur einen Weg: Zurück zur Einfachheit. Dass es kompliziert geht, habe ich gesehen, was alles möglich ist und wäre ... aber wenn dabei die Lebensfreude auf der Strecke bleibt, ist all das (für mich) völlig wertlos.

Meine (wie immer) persönliche Sicht, die niemand teilen muss.

Gelli

\"Musik war einst ein Kommunikationsmittel und hat sich zum (narzisstischen) Isolationsmittel verwandelt ...\"

Sehr interessanter Satz!



Aber das Ding mit all der Musiktheorie ist einfach..
Musik dient zur Expression von Gefühlen und zur Schaffung von Gefühlen und Welten. Menschen haben schon immer irgendwo Musik gemacht.
Und Menschen haben schon immer irgendwo Musik gehört. Im Laufe der Zeit haben sich soziale Gegebenheiten geändert, genauso wie menschen, genauso wie Musik, genauso wie Hörverhalten von Menschen.

Musik entwickelt sich stets weiter durch Musiker, die Musik von älteren Generationen hören, mich sich selbst vermischen und dann ganz intuitiv etwas Neues erschaffen. Und das permanent.

Musikwissenschaftler rennen da halt hinterher und probieren diese musischen Gegebenheiten und Phänomene in Formeln und Logik zu bannen. Was ihnen auch ganz gut gelingt. So kann ich nun einen Charlie Parker theoretisch analysieren und jedem Akkord eine generelle Bedeutung zuschreiben. Während er auf Heroin war und gespielt hat. Grob gesagt.


Also alles nicht zu dick sehen und spielen!


Beste Grüße!

Juttalele

Zitat von: GelliMusikwissenschaftler rennen da halt hinterher und probieren diese musischen Gegebenheiten und Phänomene in Formeln und Logik zu bannen. Was ihnen auch ganz gut gelingt. So kann ich nun einen Charlie Parker theoretisch analysieren und jedem Akkord eine generelle Bedeutung zuschreiben. Während er auf Heroin war und gespielt hat. Grob gesagt.


Nun ja, auf Heroin zu sein ist für mich aber nun nicht DIE Alternative ;) ... sondern die andere Seite der Isolation.

Für mich ist das eine wie das andere ein menschliches Problem, ob das nun ein übermäßig theoretisierender Musikwissenschaftler ist, dem die Praxis fehlt -- oder ein exzessiver Musiker, dem die Selbstreflexion fehlt ...

In unserer Kultur ist das aus dem Gleichgewicht geraten, und ich sehe das, glaube ich, nicht \"dicker\", als es tatsächlich ist -- entsprechend werde ich es auch nicht schön reden.

Jeder Mensch ist ein potenziell Lernender und Forschender, jedes Kind lernt durch Probieren, Experimentieren, Beobachten, Fühlen, Auseinandernehmen, Zusammenbauen, Hinschmeißen, Anfassen ... jedes Kind singt, spielt, musiziert, badet in Musik, wenn es im Mutterleib heranwächst ... jeder hat das Zeug zum Wissenden und somit zum \"Wissenschaftler\" ...

Die Musikwissenschaftler, die ich kennen gelernt habe, die meisten zumindest, genau genommen bin ich ja selbst eine ;) ..., haben das Spielen verlernt, das Ausprobieren, das Forschen ... den Bodenkontakt verloren und damit auch ein gesundes Verhältnis zur Realität, zur Praxis, zu ihren Gefühlen ... echte Forscher gibt es unter ihnen nur wenige, die meisten lesen, studieren lesend, also im Kopf, während Körper und Seele hinterherhinken ... und wirken dabei nicht sonderlich glücklich.
Das andere Extrem, sich in der reinen Praxis, im reinen Spiel zu verlieren, ohne zu reflektieren, ist nicht unbedingt gesünder ... also wenn das Spielen zur Sucht wird.

Und was unser Schulsystem angeht, da kann ich auch nichts schön reden ...

Musik ... auf welche Weise kommen denn heute die Kinder mit Musik in Berührung? In ihrem Elternhaus? Welche Eltern machen zu Hause selbstverständlich Musik ...? Da werden CDs abgespielt, die Kinder gar damit alleingelassen, weil die Eltern zu wenig Zeit haben ... Musikunterricht bekommen manche Kinder, aber das auch nicht unbedingt, damit sie ihre Freude dran haben, sondern damit sie rasch etwas vorspielen können, am besten in der Schul-Aula im Beisein von Opa und Oma und den Nachbarn ... und lernen tun sie dort Stücke, die von den Lehrern ausgesucht wurden. Von einem bodenständigen, natürlich gewachsenen Umgang mit Musik kann da kaum noch die Rede sein ...

Ich spreche hier nicht von mir selbst, ich habe damit persönlich keine Probleme. Ich habe ein Ziel, meine Intention ist, dass ich alles mir mögliche tun will, um dazu beizutragen, dass die Menschen wieder glücklicher werden, und hier spielt die Musik eine entscheidende Rolle -- eben, wie du sagst, weil sie die Sprache der Gefühle ist.

Und da rede ich nichts \"dicker\" als es ist, eher dünner ;)

Wobei ich jetzt zu alledem genug geschrieben habe. Die verbale Sprache reizt zu vielen Missverständnissen ... die ich an dieser Stelle nicht alle immer wieder erklären kann und will.

Irgendetwas wird schon durchgesickert sein ... der Rest verfliegt dann einfach ...

Liebe Grüße

Jutta