Theorie und Praxis der Saiten

Begonnen von buenlimon, 04. Jan 2012, 10:37:46

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buenlimon

Ich habe zwei Ukulelen, eine akustische Concert- und eine Risa Solid Tenor. Beide mit tiefer 4. Saite gestimmt. Mit Risa-Saiten bestückt ist die Tenor aber nur mit hoher Saitenspannung zu stimmen, offensichtlich \"fühlen\" sich die Saiten wohler einen Ton tiefer gestimmt. Nun hatte ich sowieso vor, dieses zu tun, denn ich spiele nebenbei Bb-Instrumente und habe die ganzen Jazz-Noten alle für Bb-Instrumente mit Akkorde usw. Ich bin also ganz zufrieden, eine Bb-Ukulele zu haben. Auf der Concert-Ukulele geben die Saiten in C-Stimmung einen schönen Klang und passen perfekt.

Meine theoretischen Überlegungen sind jetzt: falls die Risa-Saiten tatsächlich am besten für eine Concert-Ukulele sind, dann wäre rein rechnerisch mit der gleichen Saitenspannung die Sopran-Ukulele am besten in D gestimmt, Concert in C, Tenor in Bb, Bariton mit 48 cm Mensur in Ab, Bariton in 51 cm in G. Eine Gitarre mit 65 cm Mensur mit Risa-Saiten würde die Töne A, D, F# und B ergeben (ungefähr das gleiche wie die 4 mittleren Gitarrensaiten A, D, G und B).

Nun wundert es mich allerdings, dass für Gitarren nirgendwo Fluocarbonsaiten zu kaufen sind, die bis zur A-Saite (5. Saite) unumsponnen sind. Es gibt Saiten, da ist die 3. Saite schon umsponnen, bei anderen die 4., aber dass die bis zur 5. Saite unumsponnen sind, gibt es nicht. Wie kommt das? Es scheint mir, dass man bei der Ukulele doch ganz andere Saitenvorstellungen hat als bei der Gitarre. Oder wie?

Man kann es auch anders herum betrachten. Nimmt man Gitarrensaiten, die für eine Mensur von 65 cm D, G, B und E ergeben, dann ergeben die gleichen Saiten bei der Sopranukulele (33 cm, 12. Bund auf der Gitarre) eine G-Stimmung (1 Oktave höher als Gitarre), Concert-Ukulele eine A-Stimmung, Tenor-Ukulele eine D-Stimmung und Bariton 48 cm eine C-Stimmung.

Aber genau das tut man aber bekanntlich nicht. Man stimmt nicht Bariton in C mit umsponnener 4. Saite. Man stimmt sie eine Quarte tiefer mit unumsponnener Saite. Wieso klingt die unumsponnene hier tiefer? Man würde erwarten, dass wenn die Saite tiefer klingen müsste, müsste sie noch dicker umsponnen sein.

Wiederum anders betrachtet könnte man für die Stimmung mit tiefer 4. Saite einfach die 4 mittleren Saiten der Gitarre nehmen und sie auf einer Ukulele montieren. Dann würden sie rein rechnerisch genau passen. Allerdings hätte man dann drei umsponnene Saiten. Tut man aber nicht.

Hat sich jemand anders außer mir darüber gewundert?

Ole Lele

Das ist nur unter der Annahme wunderlich, dass für alle Größen die gleiche Saitenspannung richtig wäre. Instrumente mit einem größeren Korpus brauchen aber eine stärkere Saitenspannung. Tatsächlich skaliert die richtige Saitenspannung in etwa mit der Größe der schwingfähigen Deckenfläche. Grob überschlagen verdoppelt sich der Saitenzug von der Sopran zur Tenor und noch einmal von der Tenor zur Tarre.

Viele Grüße
Ole

buenlimon

Ole, danke. Auf  die Idee, dass unterschiedlich lange Instrumente unterschiedliche Saitenspannung haben müssten, wäre ich nicht gekommen. Ich dachte nur, dass man ja auf einer Gitarre durchaus einen Kapo auf dem 12. Bund (oder 10. oder sonstwohin) setzen könnte und dann, funktionell, ein ukulelenartiges Instrument hat. Die Saitenspannung ist dann die gleiche, die Saite eben nur kürzer. Von dem, was du sagst, folgt wohl, dass wenn man das dauerhaft tun würde, also nie den Kapo abmachen, dann könnte man die Saiten tatsächlich ein bisschen lockerer einstellen und so eine tiefere Stimmung benutzen als sonst vorgesehen war, und zwar mit normalen Gitarrensaiten. Es folgt dann theoretisch auch: die Risa-Saiten taugen weder für Bariton, noch für Gitarre. Ist das so richtig? Warum ist das so? Scheppern sie, oder geben sie nicht genug Volumen von sich?

Ole Lele

Der Saitenzug ist ein bisschen wie das Spannen eines Trommelfells. Daher gelten die oben angegebenen Verhälnisse für den Gesamtzug aller Saiten (6 Saiten bei der Tarre).
Daher brauchst Du auch beim dauerhaften Spielen mit Kapo den vollen Zug.
Außerdem brauchen lange Saiten den größeren Zug auch, damit sie nicht scheppern.

Viele Grüße
Ole

Servatius

Das Warum zum Thema Saiten-Dicke/Material/Spannung hatte mich auch schon einmal beschäftigt. Ein bisschen Stöbern in meinem Physikbüchlein brachte folgende Erkenntnis.
Der Grundton einer gespannten Saite hängt von ihrer Länge, Dichte, sowie der Spannung ab:

  Frequenz = Wurzel{ Saitenspannung / Dichte des Materials } / ( 2 * Saitenlänge )

Niederdrücken mit Finger oder Kapotaster ändert die Spannung, diese Überlegung betreffend, vernachlässigbar gering, die Saitenlänge aber eben um den Betrag um die gewünschte Frequenz (Ton) erklingen zu lassen. Den Einfluß anderer Materialien (Stahlsaiten, etc) auf die Saitenspannung kann man schnell schlußfolgern. Im Prinzip ist\'s ja einfach, doch liegt in der \'vernachlässigbar geringen\' Spannungsänderung beim Niederdrücken der Saiten ein guter Teil der Kunst des Spielens sowie eine Ukulele bundrein zu bauen.

;) Christian

buenlimon

Ich habe über eure Antworten nachgedacht. Wir reden wirklich vollkommen an einander vorbei. Das macht aber nichts. Ich werde weiter in der Literatur stöbern. Offensichtlich gibt es sehr lange instrumente mit sehr niedriger Saitenspannung (da schlackern die Saiten enorm) wie der türkische Saz und kurze Instrumente mit hoher Saitenspannung wie Mandoline. Auch gibt es tiefere Instrumente, die mit unumsponnenem Nylon gespielt wird, nämlich Cuarto Venezolano, sowie höhere Instrumente, die umsponnene Saiten benutzen (Geige). Wie man die Schwingungen berechnet, ist mir bekannt, Saitenrechner gibt es im Internet viele. Sie sind bei dieser Fragestellung nicht hilfreich.

losguidos

Zitat von: buenlimonIch habe über eure Antworten nachgedacht. Wir reden wirklich vollkommen an einander vorbei. Das macht aber nichts. Ich werde weiter in der Literatur stöbern. Offensichtlich gibt es sehr lange instrumente mit sehr niedriger Saitenspannung (da schlackern die Saiten enorm) wie der türkische Saz und kurze Instrumente mit hoher Saitenspannung wie Mandoline. Auch gibt es tiefere Instrumente, die mit unumsponnenem Nylon gespielt wird, nämlich Cuarto Venezolano, sowie höhere Instrumente, die umsponnene Saiten benutzen (Geige). Wie man die Schwingungen berechnet, ist mir bekannt, Saitenrechner gibt es im Internet viele. Sie sind bei dieser Fragestellung nicht hilfreich.

Na eben! Unterschiedliche Instrumente haben unterschiedliche Saitenspannungen (oft auch unterschiedliche Saiten) und einen unterschiedlichen Klang, weil sie unterschiedlich gebaut sind.

Eine Gitarre kann höhere Saitenspannungen aushalten, weil sie eine stabilere Decke und Brücke hat und deshalb Klingt sie auch anders als \'ne Uke. Wenn Du Deine Berechnungen zur Gitarre auf die Uke überträgst, hättest Du eine oktavierte  Gitarrenstimmung und nicht die übliche Gitarrenstimmung mit Capo im 5ten Bund. Aber was ist daran so komisch, daß die Uke mit einer geringeren Saitenspannung gespielt wird?

Die unumsponnene 4te Worth Saite ist eine absolute Ausnahme (und meiner persönlichen Meinung nach taugt die auch nicht besonders). Wenn Dir der Klang gefällt, kannst Du sie problemlos auch auf eine Gitarre aufspannen. Aber anscheinend sind da wenig Gitarristen begeistert von sonnst würde jeder so einen mumpitz machen ;)

VG

Ole Lele

#7
Sattelknopfinstrumente (Geige, Mando, Saz) vertragen viel höhere Saitenspannungen als Querriegelinstrumente (Tarre, Lele). Beide Familien werden oft nahe der Grenze dessen \"betrieben\", was das Instrument aushält ohne auf die Dauer Schaden zu nehmen, weil mehr Zug größere Lautstärke und mehr Brillanz mit sich bringt. Die Skalierung des Zuges mit der Deckenfäche bei den Querrieglern hängt damit zusammen, dass die Größe des Querriegels (der Brücke) in einem sinnvollen Verhältnis zur dieser stehen muss. Wollte man bei der Lele den Zug verdoppeln, müsste man auch die Kontaktfläche zwischen Brücke und Decke verdoppeln.

Bei der Saz gilt ein anderes Klangideal; sie hat über alle Saiten summiert nur etwa den Zug einer Bari, bei einer viel längeren Mensur. Die Deckenfläche ist aber verhältnismäßig klein.

Natürlich gibt es auch unumsponnene Saiten größerer Stärke (für Lauten und Harfen), die man einzeln kaufen kann; sie klingen aber mit zunehmender Dicke immer dumpfer, mit abnehmender Dicke schriller - das hängt mit den Obertönen zusammen, die mit zunehmender Dicke bedämpft werden. Eine Gitarren A-Saite aus unumsponnenen Nylon würde im Vergleich zu den anderen Saiten viel zu muffig klingen. Außerdem bräuchte man der großen Steifigkeit wegen einen kompensierten Steg.

Viele Grüße
Ole


buenlimon

Zitat von: losguidosWenn Du Deine Berechnungen zur Gitarre auf die Uke überträgst, hättest Du eine oktavierte  Gitarrenstimmung
Wie ich in meiner Frage geschrieben habe. Genau.

ZitatAber was ist daran so komisch, daß die Uke mit einer geringeren Saitenspannung gespielt wird?
Bisher war daran nichts komisches, aber jetzt wo du es erwähnst, ist es tatsächlich komisch. Ich habe nämlich zu Hause ebenfalls ein brasilianisches Cavaquinho. Es spielt genau eine Oktave über der Gitarre und wird mit Gitarrensaiten gespielt und hat exakt die gleiche Saitenspannung.

ZitatDie unumsponnene 4te Worth Saite ist eine absolute Ausnahme (und meiner persönlichen Meinung nach taugt die auch nicht besonders).
Das war der Auslöser meiner Frage, auch wenn ich das nicht geschrieben habe. Nachdem ich eine Zeit lang mit Tief-4-Stimmung gespielt habe, bin ich der Meinung, dass die 4. Saite umsponnen gehört. Um diese Frage zu klären, habe ich alle Forumsbeiträge gelesen zu diesem Thema. Die Leute sind hier alle einig, dass auf gar keinen Fall eine umsponnene Saite dahin kommen darf, weil sie unnatürlich klingt. Das regte wieder meinen Gedankengang an: Warum ist das so? Tatsächlich klingt diese unumsponnene Saite recht dumpf.

Ole Lele

Das mit der Saitenspannung habe ich oben erläutert. Das Cavaquinho Brasileiro hat einen wesentlich größeren Querriegel und auch einen deutlich größeren Unterbug (schwingfähige Deckenfläche) als Ukulelen gleicher Mensur.

Was die 4. Saite betrifft, ist es keineswegs so, dass hier kategorisch von umsponnenen Saiten abgeraten würde. Das Problem ist nur, dass sie sich dann deutlich von den anderen abgrenzt, insbesondere von der in Nylon bereits problematischen 3. Saite. Meine Empfehlung ist daher bei umsponnener 4. immer, die 3. ebenfalls umsponnen zu wählen. Das Klangbild ist dann ausgewogener.

Viele Grüße
Ole

buenlimon

Zitat von: Ole LeleDie Skalierung des Zuges mit der Deckenfäche bei den Querrieglern hängt damit zusammen, dass die Größe des Querriegels (der Brücke) in einem sinnvollen Verhältnis zur dieser stehen muss.
Sehr interessant und einleuchtend erklärt.

ZitatNatürlich gibt es auch unumsponnene Saiten größerer Stärke (für Lauten und Harfen), die man einzeln kaufen kann; sie klingen aber mit zunehmender Dicke immer dumpfer...

ZitatEine Gitarren A-Saite aus unumsponnenen Nylon würde im Vergleich zu den anderen Saiten viel zu muffig klingen

Dann kann ich also so musikgeschichtlich und instrumententheoretisch zusammenfassend das so verstehen (?):

1. Wird die Gitarrensituation eins zu eins auf ein halb so kurzes Instrument übertragen, was durchaus technisch machbar ist (dann muss man solide bauen usw), ergibt sich ein oktavierendes und damit messerscharfes bis glockenähnliches Sopraninstrument wie Cavaquinho oder dieses kleine Ding, das die Indianer in den Andenbergen spielen.

2. Ist der obige Instrumententyp nicht gewünscht, sondern möchte man einfach eine kleine viersaitige Gitarre zur Begleitung, kann man stattdessen Nylonsaiten nehmen und das Instrument \"vergleichsweise\" tiefer stimmen. Dann erhält man ein Instrument, das dumpfer klingt und damit die Schärfe aus dem obigen instrumententyp nimmt. \"Dumpfer\" als \"messerscharf\" ist dann \"normal\" bis \"ein bisschen scharf\". Das obere Ende (so etwa) derartiger Instrumente stellt die Sopranukulele dar, das untere Ende (so etwa) stellt die Cuatro venezolano dar, wobei die Cuatro noch alles glatt hat während Bariton-Ukulele schon umsponnene Saiten braucht.

3. Tut man gleiches mit einem noch größeren Instrument wie Gitarre, die von Natur aus schon etwas dumpf klingt, klingt sie nocht dumpfer und es wird dann zuviel.

Wenn das so ist, habe ich alles verstanden.

buenlimon

Zitat von: Ole LeleMeine Empfehlung ist daher bei umsponnener 4. immer, die 3. ebenfalls umsponnen zu wählen. Das Klangbild ist dann ausgewogener.
Ole, du hast den absoluten Durchblick, und ich jetzt auch. Danke. Ich werde das alles irgendwie in die Tat umsetzen.