\"An statt einer Guitarre...\": Hamburger Cithrinchen

Begonnen von Tuke, 27. Mär 2013, 22:00:22

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Tuke

\"An statt der Guitarre kan man auch ein Hamburger Citringen /
so mit fünff Chören ist / gebrauchen / welche ich in Niederland
an vielen Orthen gefunden habe / darauff man denn alle Sachen
eben so gut als auf der Guitarre / mit den Fingern tractiren kan.\"


Von einem Hamburger Instrumentenbauer, Joachim Tielke, wurde gegen 1660
eine Alternative zur Gitarre entwickelt.
Das ,,Hamburger Cithrinchen".
Das waren fünfchörige kleine Saiteninstrumente in Glockenform, mit Stahlsaiten bespannt,
meist wunderschön dekoriert mit  Intarsien aus Ebenholz und Elfenbein.
Die Mensur betrug etwa 35 cm, ähnlich einer Sopran-Ukulele

Es diente (natürlich!) der ,,Musicalischen Gemueths-Ergoetzung"! :mrgreen:


Das älteste erhaltene Instrument aus dem Jahre 1676 und wird im Royal College of Music
in London aufbewahrt.

Ein Cithrinchen aus dem Jahre 1685 kann man im Museum für Kunst und
Gewerbe in Hamburg sehen.

Hier ist ein Bild von einem weniger dekorierten Exemplar von Hinrich Kopp,
Hamburg 1686 aus dem Bayerischen Nationalmuseum München.

http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Cithrinchen_BNM_Mu_13.jpg

Man beachte die zusätzlichen Schall-Löcher...

Bei Interesse mal Bilder googeln.

Zum Nachlesen:

http://www.sim-web.biz/MUSEUM/zist_hamb_cith.htm
"Die Normalität ist eine gepflasterte Straße: Sie ist bequem zu gehen, aber auf ihr wachsen keine Blumen." - Vincent van Gogh

charangohabsburg

Vielen Dank für die köstlichen Zitate, Bild und Literatur-Hinweis.

Ich finde grundsätzlich alle 5-chörigen kleinen Zupfinstrumente interessant! ;)

Gruss,
Markus

Guchot

Schönes Ding :-) Mal auf dem Flohmarkt genauer Ausschau halten ;)

hinnerk

Hallo Thomas, da hast Du die Türe aufgemacht zum Thema Cistern. Dazu gibt es hervorragende Literatur:
- Den Katalog \"Zistern\" des Grassi-Mueums Leipzig
- Das Büchlein \"Cither - Cithrinchen - Zister\" von MICHEL, leider vergriffen und nur antiquarisch zu bekommen
- Einen Katalog zur Sammlung von GRÜNWALD/ Sonderausstellung in Suhl : http://www.studia-instrumentorum.de/MUSEUM/PDF/katalog_suhl_2011.pdf
Kann ich jedem empfehlen; ach übrigens Guido, es gab auch schon ganz früh eine Kölner Form der Cister: \"Kölner Cittern\"
LG Axel

Guchot

Zitat von: hinnerk...Kann ich jedem empfehlen; ach übrigens Guido, es gab auch schon ganz früh eine Kölner Form der Cister: \"Kölner Cittern\"...

Als Lokalpatriot bin ich darauf natürlich direkt angesprungen, aber Google hat mich schmählich im Stich gelassen :( Was versteht man unter einer \"Kölner Citter\"?

hinnerk

In dem Büchlein von MICHEL ist den \"Kölnische Zittern\" auf Seite 33 bis 35 ein eigenes Kapitel gewidmet. Ich könnte es Dir kopieren und zuschicken, wenn das Interesse groß ist. LG Axel

Guchot

Nein, extra Arbeit mußt Du Dir nicht machen deswegen. Ich guck mal bei nem kumpel vorbei, der hat ein Antiquariat :)

howein

Sehr interessant! Und besonders nett mit den alten Formulierungen ...  :D
Cithrinchen ... ein schöner Name ... und auch eine schöne Form hat das Instrument.
Solche kleinen Schalllöcher links und rechts unten sieht man auch häufig bei Cigarbox-Instrumenten, fällt mir grad auf.

Tuke

#8
Vielen Dank für das Interesse an diesem Thema!

Über den Instrumentenbauer Joachim Tielke gibt es ein wunderschönes Buch:

Friedemann und Barbara Hellwig
Joachim Tielke
Kunstvolle Musikinstrumente des Barock


Auf einem Foto, das die Autoren im Netz zeigen (2. Foto von links,
ich hoffe, man darf das hier posten, es ist ja öffentlich...)

http://www.tielke-hamburg.de/htm/instr_cithrinchen.htm

kann man an der Anordnung der Stifte, die die Saiten halten, erkennen,
dass die 10 Saiten vierchörig! \"gemeint\" waren: 2 - 2 - 3 - 3 Saiten.*

Damit wäre das Hamburger Cithrinchen ja doch eine äußerst atraktive, uralte
Großtante unserer Ukulele. :mrgreen:

Edit:

Ein \"berühmter\" Cithrinchen-Spieler war der Schwedische National-Barde und
-Dichter Carl Michael Bellman (1740-1794).

Martin Bagge
tritt mit Bellman-Liedern auf, wie auch Hannes Wader
und spielt auch dieses historische Instrument:

http://www.youtube.com/watch?v=KWN88P1mn4E

(Hier posiert er auf dem uTube-Foto mit seinem Cithrinchen, ich möchte aber nicht
beschwören, dass er es auf dieser Aufnahme auch spielt. Könnte auch eine
Gitarre sein)

Edit 2: Aufklärung am 30.3. durch Prof. Hellwig: Die Saitenaufhängung ist nicht original!
Im Original war ein Metallstreifen auf der Zarge, an dem vier Chöre befestigt waren, daneben
zwei Stifte für den 5. Chor. Die vier Chöre waren überdies mit einem Holzbrettchen zu dämpfen,
das mit dem Handballen betätigt wurde und Tonänderungen, ähnlich einem Wah-Wah
erzeugen konnte...
"Die Normalität ist eine gepflasterte Straße: Sie ist bequem zu gehen, aber auf ihr wachsen keine Blumen." - Vincent van Gogh

charangohabsburg

Zitat von: GoschiNur zu deiner These, es handle sich um ein 4chöriges Instrument, erlaube ich mir, Zweifel anzumelden.
Hallo Goschi,

Deine Zweifen sind berechtigt, obwohl ich mich natürlich zu früh gefreut hatte, es könne sich bei dem Hamburger Cinthrinchen um einen Vorläufer des 5-chörigen Charangos handeln, denn Charangos werden anders gestimmt als dies beim Hamburger Cithrinchen üblich war, womit ich auch schon zum springenden Punkt gekommen bin:

Im Buch Die Laute in Europa, Andreas Schlegel & Joachim Lüdtke, 2011 können wir nachlesen dass, und wie die 5-Chörigkeit des Hamburger Cithrinchens historisch belegt ist:

ZitatHamburger Cithrinchen, Joachim Tielke, Hamburg 1688. eine Sonderform der Cister ist das Hamburger Cithrinchen, das von 1664 bis 1769  belegbar ist. Neben Krembergs Druck*, der es als möglichen Ersatz für die Gitarre nennt, kennen wir zwei ausdrücklich ihm zugedachten Manuskripte.  Die Stimmungsangaben reichen mit feff** (von hoch zu tief: Quarte-Großterz-Quarte-Quarte), fede (Quarte-Großterz-Kleinterz-Großterz) und fdef (Quarte-Kleinterz-Großterz-Quarte) von der Gitarrenstimmung bis zur Stimmung der Sächsischen und Thüringer Cister des 18. Jahrhunderts. [...]

In Schlegels Buch wird die Mensur des erwähnten (und reich dekorierten) Instruments (erscheint auch in den drei rechten Bildern im Link den Tuke oben angegeben hat)  mit 35.4 cm angegeben, jene eines weiteren H.C. von Tielke (um 1685) mit 37.9 cm.

Soweit das, was ich zur \"Intelectuellen Ergötzung\" beitragen kann.  ;)

Gruss,
Markus



*)
ZitatJacob Kremberg: \"Musicalische GemüthsErgötzung oder Arien\", Dresden 1689. Dieser Druck vereint Mensuralnotation in Typendruck (Oberstimme und bezifferter Bass mit in Kupfer gestochenen Continuo-Stimmen für Barocklaute, [...]

**)
Mit f, e und d handelt es sich hier nicht um die Noten, sondern um die so bezeichneten Intervalle.