Wie ist die Musikförderung bei euch organisiert?

Begonnen von LokeLani, 27. Sep 2012, 10:32:18

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LokeLani

In der Schweiz war am Wochenende eine Abstimmung darüber, dass die Musik besser gefördert werden soll, und das in allen Kantonen der Schweiz. Konkret: die Musik soll dem Sport gleichgestellt werden.

Die deutliche Annahme der Vorlage mit über 70% zeigt doch das grosse Bedürfnis für eine Förderung der Musik für Kinder und Jugendliche. Aktuell ist nämlich die Situation so, dass der Tarif an Musikschulen sehr teuer ist (600-700€ pro Semester im Einzelunterricht). Nach der günstigen oder sogar kostenlosen musikalischen Grundschule, ist es vom Wohnort und der Musikschule abhängig ist, ob sich Eltern den Musikunterricht für ihre Kinder noch leisten können.  .
Nun soll diesem Umstand sinnvoll entgegen gewirkt werden, was in der Tat erfreulich ist!

Da aber auch mehr Steuergelder dafür aufgewendet werden, ist eine gute Struktur der Musikschulen wichtig.
Bei der Musikschule an meinem Wohnort gibt es am meisten Klavierschüler; Keyboard, Gitarre, Schlagzeug sind auch sehr gut vertreten.
Günstige Einstiegsmöglichkeiten für die jungen Schüler gibt es keine mehr. Blockflöte gilt nicht mehr als Einstiegsinstrument und ist darum auch sehr teuer geworden. Folge, den Orchestern und Musikvereinen geht bald der Nachwuchs aus!

Wie ist das in Deutschland, welche Möglichkeiten bieten Schulen und Musikschulen Kindern im Alter von 6-8Jahren an?
Ist auch Ukulele an Musikschulen vertreten? Welche Instrumente werden im günstigeren Gruppenunterricht angeboten?

Ich bin gespannt auf Antworten!

Juku

Meine Tochter, jetzt in der 8. Klasse, hat bisher weder an der Grundschule, noch an der weiterführenden Schule jemals eine Musikstunde gehabt. Das Fach Musik ist auch im Stundenplan nie aufgetreten.
Eine Gleichstellung mit Sport würde aber auch nicht viel bringen,  weil der \"so gut wie fast immer\" ausfällt...

Uhu

#2
Ich unterrichte in der Grundschule Gitarre (starke Nachfrage, keine zusätzlichen Gebühren für Kinder, die im offenen Ganztag sind, also nachmittags in der Schule betreut/unterrichtet werden), bei Bedarf Ukulele und diverse musikalische Aktionen je nach Nachfrage (Chor, Instrumente kennen lernen, leichte Instrumente bauen). An den meisten Grundschulen der Region gibt es das öffentlichkeitswirksame \"Jeki\" (jedem Kind ein Instrument), das je nach Schuljahr monatlich 20 - 39 Euro für den Instrumentalunterricht in recht großen Gruppen von den Eltern verlangt, Leihgebühr für\'s Instrument inclusive. Pro und kontra Jeki bitte in der NMZ (Neue Musikzeitung) nachlesen, mit den Stichwörtern NMZ Jeki googeln.
In \"meiner\" Grundschule gibt es Musikunterricht entsprechend den Vorgaben des NRW-Lehrplans, zusätzlich werden Lieder gesungen, Aufführungen vorbereitet, also insgesamt bin ich recht zufrieden. Der Sport hat dort übrigens einen ähnlich hohen Stellenwert.

Gruß vom Uhu

Heike

Bei uns haben die Kinder in der Grundschule 3 Stunden Sport in der Woche und eine Stunde Musikunterricht. Im Musikunterricht wird viel gesungen und so, aber ein Instrument lernen die Kinder dort nicht. Zusätzlich können die Kinder aber noch am Blockflötenunterricht teilnehmen der zwar in der Grundschule gegeben wird, aber zur Musikschule gehört und dort auch bezahlt werden muß. Den Preis weiß ich leider nicht da meine Kinder privat Flötenunterricht haben.
Einen Chor kann man auch bei uns in der Grundschule, zusätzlich zum normalen Unterricht, noch besuchen. Dieser kostet, soweit ich weiß, keinen zusätzlichen Beitrag.
Unsere Musikschule bietet eine große Auswahl an Instrumenten an und man kann sich auch einige Instrumente ausleihen. Ukulele wird aber leider bisher noch nicht unterrichtet.

Gruß,

Heike

ukelmann

#4
LokeLani>  Schweiz: die Musik soll dem Sport gleichgestellt werden.

Tja, das wäre in Deutschland meist vom Regen in die Traufe. Bzw.: Durchgeweicht ist man sowieso.

 LokeLani> Wie ist das in Deutschland?

Als indirekt Betroffener (Kinder): Deutschland ist extrem föderal mit 16! (ähnlichen) Bildungssystemen, in denen man nur eine Gemeinsamkeit findet:
Jedes Kultusministerium hält das seine für das Beste.

In diesen 16, natürlich weltbesten, Systemen herrschen nicht nur zwischen den Bundesländern, sondern sogar innerhalb der Bundesländer große Differenzen zwischen gleichen Schularten. Z. B. müssen Kinder, die von Gymnasium zu Gymnasium wechseln, an jedem Gymnasium andere Schulbücher nutzen.

Solche unfassbaren Defizite ziehen sich seit ca. 30 Jahren durch die deutsche Bildungslandschaft.
Eine Freundin (aus Nordrhein-Westfalen NRW) die in Niedersachsen studierte, fand in Deutschland über Jahre keine Arbeit als Lehrer und arbeitet seit ca. 20 Jahren in der Schweiz. Inzwischen würde sie auf keinen Fall mehr in derartige \"Schularmenhäuser\" wechseln, wie sie sie in NRW bei ihren Nichten/Neffen angetroffen hat. Hier in Niedersachsen wurden in den letzten 6 Jahren drei radikale Änderungen vollzogen, die auf Kosten von Schüler, Lehrer und Eltern gehen, und hauptsächlich Geld sparen.

Aus diesen Gründen findet man nur vereinzelt eine gute musische oder sportliche Förderung, z. B. die Initiative mit Bläserklassen in den Klassen 5/6 an niedersächsischen Gymnasien vor einigen Jahren, die durchaus viel bewegt hat. Oder die Aktion \"Klasse, wir singen\".
Aber Musikunterricht _durchgehend_ im Allgemeinen? So gut wie nicht vorhanden. Sport ebenso.

EDIT: Sport hieß früher, dass von 30 Jungen einer das Tau nicht hochklettern konnte (bei uns war\'s Micha). Heute kann einer hochklettern.

Also: Manches ist sehr gut, vieles unfassbar schlecht.
Plinke-ti plinke-ti plinke-ti PLING

HEiDi

#5
Zitat von: ukelmannZ. B. müssen Kinder, die von Gymnasium zu Gymnasium wechseln, an jedem Gymnasium andere Schulbücher nutzen.

Stimmt.
Bei uns muss ich teilweise sogar für drei Geschwister, die in den Klassen 5-10 dasselbe Gymnasium besuchen, drei verschiedene Schulbücher nacheinander für ein Fach kaufen. :roll:

Musikunterricht gibt es an unserer Grundschule eine Stunde, am Gymnasium zwei Stunden wöchentlich.
Sportunterricht an der Grundschule zwei plus ggf. Sport-Förderunterricht, am Gymnasium zwei Stunden.
An der Grundschule zusätzlich eine Stunde Schwimmen (mit dem Luxus eines eigenen Lehrschwimmbeckens), am Gymnasium im Wechsel mit Sport.
Zusätzlich werden mehrere Arbeitsgemeinschaften im musikalischen und sportlichen Bereich angeboten: Chor, Band, Gitarre, Blockflöte, Keyboard, Instrumental (Orff); Zirkus, Tanzen, Cheerleading, Tennis, Fußball, Basketball, ... (Zugegeben: Die Qualität schwankt stark...)
Eine bestimmte Sportart wird in unserem Ort besonders gefördert, auch in der Schule - für die Turniere gibt es sogar schulfrei.

Ach ja: Wir leben keineswegs in einem elitären Ort - ganz im Gegenteil.
Ich habe eher den Eindruck, dass wir gerade wegen der im Durchschnitt ziemlich schwachen Sozialstruktur und der sehr hohen Zuwanderungsrate einige Vorteile genießen, wie z.B. kleinere Klassenteiler.

Bläser-, Streicher- oder Chorklassen gibt es bei uns allerdings erst in der nächsten Klein- bzw. Großstadt.

Früher waren Musik, Sport, Kunst und Religion bei uns die Fächer, die als erste ausfielen - das scheint mir heute nicht mehr so zu sein.

Beim Musikschulunterricht bin ich nicht auf dem Laufenden - da weiß ich nur, dass er mir bei jedem Blick ins Programmheft viel zu teuer war. Glücklicherweise spielen wir ja alle Ukulele.  8)
HEiDi mit MAjA, UkuLily & wir_holen_den_cup

LokeLani

#6
Danke schon mal für die bisherigen Antworten. Das sind tatsächlich grosse Unterschiede!

Ihr habt 16 Bildungssysteme für ein grosses Land, wir haben etwa 20, jeder Kanton hat seine eigenes :mrgreen:
Die Qualität ist sicher überall in Ordnung, trotzdem hat unser System zu wenig Fachkräfte ausgebildet und die Schweiz hat nun eine grosse Zuwanderung,v.a. aus Deutschland.
An Musikhochulen in der Schweiz studieren bist zu 80% ausländische Studenten aus den verschiedensten Ländern!

Bei Uhu scheinen ja die Möglichkeiten geradezu paradiesisch zu sein, wirklich toll! In welcher Gegend ist das?

ZitatBeim Musikschulunterricht bin ich nicht auf dem Laufenden - da weiß ich nur, dass er mir bei jedem Blick ins Programmheft viel zu teuer war. Glücklicherweise spielen wir ja alle Ukulele.  
...also schweizerische Verhältnisse!

Uhu

Ruhrgebiet, aber das ist ein Einzelfall, den ich auf kräftiges Engagement zurückführe. Ich danke meiner Rektorin und dem Kollegium für alle Freiheiten, die ich genießen darf!

Gruß vom Uhu

LokeLani

#8
ZitatIch danke meiner Rektorin und dem Kollegium für alle Freiheiten, die ich genießen darf!
Solchen Leuten muss man wirklich ein Kränzlein winden!

Hat die Schule, für die du arbeitest eine Webseite?

Uhu

@ Lokelani: Sorry, ich antworte etwas spät. Nein, die Schule hat keine Webseite.

Gruß vom Uhu

Kugel

O.T.: \'tschuldigung  :oops:  :oops:  :oops:

Zitat von: ukelmann............ EDIT: Sport hieß früher, dass von 30 Jungen einer das Tau nicht hochklettern konnte (bei uns war\'s Micha). Heute kann einer hochklettern.

Also: Manches ist sehr gut, vieles unfassbar schlecht.

1. Sport hieß früher turnen - und nicht: \"von-30-kann-nur-einer-nicht...........\"

und

2. das heute nur noch Einer (von 30) an einem Seil hochklettern kann, liegt aber bestimmt nicht nur am fehlenden \"Sport\"-Unterricht.... laufen können die Kleinen doch auch bevor sie zur Schule gehen, oder?


Gruß Kugel

gerald

Nach meinem Eindruck vergessen die Ausführenden an allen staatlichen Stellen, die
Musikunterricht erteilen, dass sie aus Steuergeldern bezahlt werden und leben so in
einem Elfenbeinturm ohne sich über ihren Auftrag klar zu werden.

Ich selbst habe Musikunterricht an der Schule bis zum Abitur gehabt, zusätzlich habe ich
von einer Musikschule des Landkreises (in den Räumen meiner Grundschule) während der
zweiten und dritten Klasse Musikunterricht erhalten.
Das einzige, was ich im Musikunterricht gelernt habe, ist, dass ich ein \"musikalischer
Anaphabet\" bin. Ein Ausdruck, den auch hier im Forum meines Wissen ausschließlich
eine Person, die ihren eigenen Angaben zufolge an einer staatlichen Grundschule als
Musiklehrerin arbeitet, gegen andere verwendet hat.

Immer wieder liest man hier im Forum von Menschen, die in ihrer Schulzeit ziemlich
seltsam von den Musiklehrern und Musiklehrerinnen behandelt wurden, denen die Blockflöte
als Instrument aufgedrängt wurde, die von den Lehrkräften mit den Schlägeln von Glockenspielen
oder ähnlichen Instrumenten geschlagen wurden.

Als Krönung aus Sicht von uns Ukulelespielern empfinde ich die Kommunikation unseres Freundes
Dieter zu Ukulelenunterricht mit Musikschulen in Heidelberg.
Wohlgemerkt, eine der Schulen kommuniziert über Adressen der Stadt Heidelberg! Es handelt
sich damit letztlich um amtliche Aussagen gegenüber einem Steuerbürger!

Vor diesem Hintergrund empfinde ich den Musikunterricht an den meisten staatlichen Schulen nur
als Verschwendung von Steuergeldern.
Die meisten Musiklehrer, die ich in meinem Leben getroffen habe, haben mir Musik und
selbst zu musizieren aktiv verleidet (auch zu Zeiten, als ich kein Schüler mehr war).

Wenn ich dann mitbekomme, dass auch heute Kinder weinend vom Musikunterricht kommen
(das Kind hatte seine Ukulele mit in den Musikunterricht gebracht und für die Lehrerin war es
zu schwer, mit der Gitarre mitzuspielen, weil das Lied den Akkord F-Dur enthielt...), wie
Musiklehrer bei Schulaufführungen die unverstärkte Musik der Kinder mit Piezogitarrenklang
erdrücken, wie es eigentlich besser ist, wenn die Kinder aufgrund magelhafter Unterstützung
beim Chorgesang (Lehrerin sitzt mit Piezogitarre hinter dem Chor...) nur schlecht verständlich
bei der Weihnachtsaufführung singen, weil wie zu früheren Zeiten der Wusch nach dem schönen
Kriegesheer besungen wird, ist das nichts, was ich für Föderungswürdig halte.

Juttalele

Inzwischen gibt es ja wissenschaftliche Untersuchungen und Studien über die positiven Wirkungen von Musik auf das Lernen allgemein ... seitdem heißt es hier und da, der Musikunterricht müsse wieder mehr gefördert werden. Ich frage mich nur: welche Intention steckt dahinter? Soll der Musikunterricht hier instrumentalisiert werden? Im Grunde ist ja nicht nur der Musik- und Sportunterricht hinterfragungswürdig, sondern der gesamte Unterricht, das gesamte Schulsystem.

Und selbst wenn der Musikunterricht hier und da gefördert wird, ist mir manchmal, als würde dies nur dazu dienen, das öffentliche Ansehen der Schulen zu fördern -- nicht aber die FREUDE am Musizieren an und für sich.

Dennoch gibt es hier und da trotz all dieser Zwänge sinnvolle und förderungswürdige Projekte. Eines wäre z. B. das hier:
http://rezensionen.riedel-henck.de/html/musik1.html#Resonanz

Geralds Kritikpunkte finde ich sehr wichtig. Da ich noch nicht so lange hier im Forum bin, hat mich die Geschichte mit der Heidelberger Musikschule negativ überrascht, man könnte es fast für Satire halten. An diesem Beispiel wird mal wieder deutlich, dass viele Menschen weniger um der Freude willen musizieren, sondern um ihr (Selbst-)Wertgefühl zu füttern und sich auf diesem Wege besser zu fühlen als jene, die nicht so super toll auf ihrem Spezialgebiet sind ... mit gemeinschaftlichem Musizieren hat das allerdings nix (mehr) zu tun, warum sollte dies also von der Gemeinschaft gefördert werden (wollen, sollen)?

LokeLani

Der Musikartikel, den ich eingangs erwähnte, wurde im übrigen mit grosser Mehrheit angenommen, er war auch im Vorfeld der Abstimmung unbestritten!
Es ist also ein Bedürfnis der Gesellschaft, dass Kinder an Schulen wieder vermehrt gefördert werden sollen.

In welcher Form dies nun umgesetzt werden soll, darauf bin ich echt gespannt!

@Juttalele, interessanter Link, das Buch interessiert mich.

@Gerald  Es ist leider so, dass auch heute noch vielen Kindern die Musik vergällt wird.
               Ein guter Musiker ist nicht unbedingt ein guter Lehrer  :roll:

Juttalele

Bei Amazon kann man in das Buch hineinblättern, dort ist es gebraucht schon ab 4,50 Euro zu bekommen. Aber auf der Website gibt es auch einiges zu finden, vielleicht genügt das ja schon, vor allem hier im Film:

http://www.resonanz-akzeptanz.de/videos.0.html

(der zweite unten)

Was ich grundsätzlich wichtig fände, die Musik aus dem Notenbewertungssystem rauszunehmen, damit es nicht zu Konkurrenz unter den Schülern kommt (von denen ja immer einige von Haus aus mehr musikalische Förderung und Ausbildung genossen haben), d. h. einen echten kreativen Frei- und Entfaltungsraum zu schaffen, in dem die Menschen nicht verletzt werden, sondern so angenommen, wie sie eben sind, d. h. dort abgeholt, wo sie sich befinden.