Unregelmäßige Bund-Abstände. Warum?

Begonnen von Tuke, 29. Mär 2013, 16:12:34

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Tuke

Eine Frage an die (musiktheoretisch) Erfahrenen:

Auf dem Foto einer kleinen Cister aus dem 17. Jahrhundert

Klick


sieht man, dass die Bundstäbe in eigentümlichen Abständen angebracht sind:

lang - kurz - lang - kurz - mittel - mittel - mittel usw...

Die Stimmung des Instrumentes war z.B.  c e g h e\', oder auch f a c\' e\' a\'.

Für welche Art Tonleiter war das gedacht?
Gibt es so etwas heute auch noch?
(Die Dulcimer haben ja auch andere Bundabstände...)


Edit 30.3.: Hier ein Ausschnitt:



Edit 30.3., II
Info für die Kurzleser: Auflösung s. Post #27
"Die Normalität ist eine gepflasterte Straße: Sie ist bequem zu gehen, aber auf ihr wachsen keine Blumen." - Vincent van Gogh

wwelti

Ich wusste gar nicht daß es damals schon chinesische Billig-Instrumente gab... :roll:

Man bedenke: Der 12. Bund ist ungefähr in der Mitte. Das sollte also wohl tatsächlich die Oktave sein. Hmm, nach einem indischen Instrument sieht die auch nicht aus. ;) Vielleicht nennt man das einfach nur _schlecht_? ;)

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Per Ausgenmaß hätte man die Bünde genauer platzieren können, also muss es einen Grund geben. Der Unterschied der Abstände sieht nicht so groß aus dass es einen Halbton ausmachen könnte wie bei Dulcimern zum Beispiel. Haben wir was verpasst? gibt es vielleicht nicht nur Ganz- und Halbtöne, sondern auch Vierteltöne?

wwelti

Es gibt sogar Hundertsteltöne. Nennt sich Cent. ;) (Stimmt nicht ganz: Das sind Hundertstel-Halbtöne)

Ich muß sagen daß ich schon einige alte Instrumente mit grausliger Bundierung gesehen habe -- aber vor allem bei billigeren. Ich bin ja in letzter Zeit etwas misstrauischer geworden, ganz allgemein... könnte es sein daß sich so die billigeren Instrumente grundsätzlich auch klanglich von den besseren hörbar absetzen sollten? :mrgreen:

wwelti

... Hier nochmal dasselbe Instrument in \"besser\". Ich muß zugeben, ich find\'s interessant. Hier ist die Bundierung etwas gleichmäßiger, aber nicht GANZ gleichmäßig. Es sind tatsächlich ähnliche \"Verzerrungen\" in der Bundierung, aber weniger stark.

Vielleicht gibt es doch einen weiteren Grund? Es ist allerdings eindeutig eine chromatische Bundierung.

http://www.metmuseum.org/toah/works-of-art/1985.124

Viele Grüße
  Wilfried

allesUkeoderwas

#5
Ich kann mir nicht vorstellen, daß die Instrumentenbauer damals zu blöd waren ein Instrument zu bauen. Mein Thahitibanjo und meine Bastardgitarre haben die gleiche Verschiebung des 3. Bundes - Der 3. Bund fällt am extremsten auf - Hier im Vergleich zur Ukulele...



Ich hab grad nur \'n Foto vom Banjo zur Hand, das hat aber nur 6 Bünde.

Beim alleine Spielen macht sich das weder beim Melodiespiel noch bei gestrummten Chords unangenehm bemerkbar - Ich hab dieses Instrument allerdings noch nie gemeinsam mit anderen gespielt...

Deine Frage interessiert auch mich, ich schließ mich daher mal an.
Ukulelen: Nur Schrott

TERMInator

Ich weiß nicht, ob das eine so große Abweichung der Bundstäbchen ausmacht, aber vielleicht ist das Instrument nicht in der heute üblichen gleichstufigen Stimmung sondern in reiner Stimmung oder mitteltöniger Stimmung (passt zum Alter des Instruments) gebaut ?

wwelti

Sehr spannend. Für die ersten paar Bünde könnte das auch als Kompensation für eine hohe Saitenlage am Sattel einen Sinn ergeben. Allerdings sieht mir die Saitenlage an Tukes Cithrinchenbild gar nicht besonders hoch aus...

Ich weiß nur eins: Ich hatte mal eine alte Mandoline (oder so) mit ähnlich unregelmäßiger Bundierung in der Hand. Klang _scheußlich_. Für meine Ohren jedenfalls. Bei einem Charango meiner Großtante ist etwas ähnliches der Fall, die Bünde sind da auch ein wenig abenteuerlich. Klingt auch recht krumm, aber Markus meinte einmal, das sei für Musiker dieses Kulturkreises ganz normal und sogar eine geschätzte Eigenschaft. (Habe ich das richtig in Erinnerung?)

Aber das Hamburger Cithrinchen war ja eigentlich nicht in einem sehr exotischen Kulturkreis unterwegs... Ja, früher hatte man natürlich nicht die gleichstufige Stimmung, aber eigentlich müsste dann doch die Bundierung für jede Saite andere Abstände haben. So ganz erschließt sich mir die Sache nicht.

allesUkeoderwas

#8
Ich glaub eher, daß Termis Hinweis der richtige Weg ist.

Ich bin kein Theoretiker (Hab auch nicht die Absicht, einer zu werden), aber ausgehend vom C trifft es bei meinen Instrumenten hauptsächlich das D# - Vielleicht führt das Stichwort kleine Diësis weiter ???
Ukulelen: Nur Schrott

Tuke

Zitat von: wweltiSehr spannend...
Finde ich auch  :mrgreen:
@ alle: Danke für\'s Miträtseln.

Den Autor des Buches über den Instrumentenbauer Tielke (http://www.tielke-hamburg.de/htm/einfuehrung.htm),
Prof. Friedeman Hellwig habe ich mit dieser Frage angeschrieben.
Er wohnt hier bei mir um die Ecke.

Der hat freundlich zurückgemailt, dass er mir das gerne mal telefonisch erläutern würde, nach Ostern.

Bleibt also noch etwas spannend, die Sache.
Werde dann berichten...
"Die Normalität ist eine gepflasterte Straße: Sie ist bequem zu gehen, aber auf ihr wachsen keine Blumen." - Vincent van Gogh

wwelti

#10
Hab mal in die Wikipedia geschaut.

Beeindruckend. Während bei reiner Stimmung die Unterschiede zu gleichstufiger Stimmung nicht allzu groß sind (und somit kaum so große Unterschiede bei der Bundierung rechtfertigen würden) sieht es bei den teilweise recht verbreiteten mitteltönigen Stimmungen anders aus. Hätte ich nie gedacht daß die Intervalle da so stark von der gleichstufigen Stimmung abweichen! Man lernt nie aus.

Einige Intervalle werden bei sowas freilich schauderhaft klingen.

Edit:
Tuke: Klasse, da bin ich sehr auf seine Erklärung gespannt!

charangohabsburg

Wahrscheinlich war da mal ein selbsternannter \"Restaurator\" am Werk. Oder viel mehr mehrere. Leider kein Einzelfall sondern eher die Regel. Der Zahn der Zeit nagt bei Instrumenten oft in der Reparaturwerkstatt am schnellsten.

TERMInator

Dazu kommt noch, daß diese nicht-gleichstufig gestimmten Instrumente meist nur für 1, 2 oder max. 4 Tonarten geeignet sind. Dafür dann dort aber gut klingen, insbesondere bei  Bordunmusik.

hinnerk

Man nennt das auch die \"teildiatonische Bundierung\", näheres dazu im Buch \"Zistern\" vom Musikinstrumentenmuseum Leipzig. Vielleicht schaffe ich morgen eine kurze Zusammenfassung. LG bis dann, Axel

hinnerk

Hallo, uns allen vertraut ist die chromatische Bundierung/Bundeinteilung von Ukulele, Gitarre, Banjo etc. , da braucht man nicht viel zu sagen. Weniger vertraut ist die diatonische Bundierung wie wir sie bei vielen Kastenzithern (u.a. Scheitholt, Hummel, Dulcimer etc.) finden. In bestimmter, teils unterschiedlicher Reihenfolge sind mit den Bundstäbchen/Bünden  Ganz- und Halbtonschritte markiert, leicht an den Abständen zu erkennen. Auf der Seite von STRUMSTICK kann jeder das unterschiedliche Aussehen von chromatischer/diatonischer Bundanordnung vergleichen. Da die diatonische Anordnung die Tonarten begrenzt bzw. teilweise sehr ungewohnte Skalen hervorbringt (noch interessanter die Mehrtönigkeit !), sind schon früh Zwischenbünde, teilweise auch nur Teilbünde eingefügt worden. Besonders gut kann man das z.B. bei den ungarischen Zithern (Citera) sehen. Es ist aber auch bei Kastenhalslauten (und da zählt die Zister dazu) gemacht worden. Die Anordnung der Teilbünde oder Zwischenbünde ist dabei unterschiedlich gehandhabt worden, d.h. die Instrumente sehen bei der Bundanordnung teilweise absurd unterschiedlich aus. Diese Teil-/Zwischenbünde erhöhten die Tonartmöglichkeiten. Warum sich diese Bundanordnung so strikt erhalten hat, wo andere Saiteninstrumente schon längst chromatisch bundiert wurden, wird immer noch diskutiert, es gibt keine Quellen die das eindeutig beantworten.
Zur Stimmung nur so viel: Es kristallisierten sich mit der Zeit und je nach Region bestimmte Intervall-Verhältnisse der Chöre zueinander heraus, aber auch Umstimmen war alltäglich, je nach Einsatz.
Zur Chörigkeit: Es gab 4-, 5-, 6-, usw chörige Instrumente. Es gab ungegriffene Baßseiten an Zistern,  die Chöre waren 1 - 3 saitig. So ziemlich alles ist zu finden. Das Hamburger Cithrinchen wurde 5-chörig konzipiert, was aber nicht ausschloß, daß es auch 4-chörig umgestimmt wurde.
@Thomas, unter diesem Link ist ein interessnter Text zum Cithrinchen, davor einiges zur Zister überhaupt: http://archive.org/stream/musikhistorische02heye#page/200/mode/2up  (Ein übrigens höchst interessanter Katalog von 1912)
@Guido, 2 Zitate:
\" Ein frühes Zentrum des Zisternbaus in Deutschland bildete Köln\" \"Die Instrumente von Michael Bochem (KÖLN) stellen in der Entwicklung des kunsthandwerklichen Zisternbaus in Deutschland einen Höhepunkt dar\" beide Zitate aus der Diss. von MICHEL, 1989. Leider gibt es grade in Köln kein erhaltenes Exemplar, dafür im Hessischen Landesmuseum gleich 3, darunter ein Cithrinchen.
LG erstmal, auf Anfrage mehr, Axel