Schutzfristen bald 100 Jahre?

Begonnen von wwelti, 18. Okt 2014, 01:15:46

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wwelti

In letzter Zeit sind wir es ja fast gewohnt, regelmäßig mit höchst unschönen Gesetzesvorhaben usw. bombardiert zu werden.

Es könnte sein, daß zu alledem hinzu nun bald viele Copyright-Schutzfristen von 70 auf 100 Jahre verlängert werden. Da solche Dinge heutzutage nur noch hinter verschlossenen Türen verhandelt werden, erfährt man oft kaum noch davon, außer über Umwege...

http://www.heise.de/newsticker/meldung/Handelsabkommen-TPP-USA-draengen-auf-Kriminalisierung-nicht-gewerblicher-Copyright-Verstoesse-2427376.html
(Siehe Abschnitt: Schutzfrist 100 Jahre)

Der Artikel liest sich erstmal sehr harmlos, aber man weiß ja inzwischen wie schnell sowas sehr ernst werden kann.

Ich fände das nicht gut. Kein Mensch benötigt eine Erweiterung seiner jetzt schon bestehenden Schutzrechte von 70 Jahren nach seinem Tod (!) um weitere 30 Jahre. Damit besteht die Gefahr, daß viele Werke völlig verwaisen werden, und viele alte, schon lange gemeinfreie Werke könnten auf einmal wieder copyright-geschützt sein. Die Nutzung solcher Werke würde damit auch besonders schwierig werden, da es in vielen Fällen fast unöglich sein dürfte, nun Nutzungsrechte an eigentlich längst gemeinfrei geglaubten Werken zu bekommen. Lediglich einige große Rechteverwerter, die an Werken anderer verdienen, können hierdurch etwas gewinnen.

Zwar ist die Gefahr noch nicht sehr konkret, aber sie dräunt am Horizont. Ich fand es besser, jetzt darauf hinzuweisen, als es einfach zu überlesen.

Viele Grüße
  Wilfried

Seitenkiller

Wenn man bedenkt, wer daran letzten Endes verdient (Abmahnmafia, welche ja bekanntlich die meisten westlichen Regierungen durchsetzt hat), kann man davon ausgehen, daß das mit Sicherheit früher oder später kommen wird - sofern kein ordentlicher Shitstorm einsetzt. Und auch dann würde das nur verschoben, bis sich die Wogen geglättet haben und dann in aller Heimlichkeit durchgeführt.

Bisher konnte mir aber noch keiner erklären, wieso Dinge, die unter das \"Urheberrecht\" fallen, um so vieles wertvoller sein sollen wie z.B. Patente, die z.T. sogar schon Leben gerettet haben (Antibiotika, Sicherheitsgut, Airbag, ...). Für sowas muß man ein Patent anmelden und das ist nach 20 Jahren verjährt. Selbst wenn es um Arzneimitteln geht, deren Entwicklungskosten schon mal in die Milliarden gehen können.
Welcher Roman, welcher Zeitungsartikel, welches musikalische Werk und welcher Film hat schon  Milliarden Euro gekostet und 10 Jahre Entwicklungszeit bis zur Marktreife benötigt? Be Arzneimitteln ganz normaler Durschschnitt.

wwelti

#2
Naja, Abmahnungen der Art wie hier in Deutschland gibt es in anderen Ländern kaum, da müssen wir mal die Kirche im Dorf lassen. Aber es gibt schon eine Content-Industrie, die nach langen Schutzfristen lechzt. Der Copyright Extension Act von 1998 wurde nicht ganz unpassend auch \"Mickey Mouse Protection Act\" genannt. Gewisse Firmen werden es nicht so einfach dulden, daß ihre Frühwerke auf einmal gemeinfrei werden.

Es ist natürlich völlig lächerlich daß Werke bis 100 Jahre _NACH_ dem Tod geschützt sein müssen -- wer bitte schön wird aus dem Grund kreativ, daß er seine Erben damit für 100 Jahre versorgen kann? Es gibt aber eben Firmen z.B. in der Unterhaltungsindustrie, die ein Interesse haben, die Schutzrechte von einigen alten Werken weiterzuverwalten. Nur schade, daß dadurch letztendlich die kulturelle Vielfalt für ALLE eingeschränkt wird.

Da es bei solchen Schutzrechtsverlängerungen jedoch kaum jemandem (der was zu melden hat) direkt an die Brötchen geht, einige große Konzerne jedoch Lobby-Arbeit dafür betreiben, ist es leider langfristig sehr wahrscheinlich, daß sowas durchkommt.

Viele Grüße
  Wilfried

Seitenkiller

Wobei immer noch die Frage im Raum steht:

Was macht derartiges derart wertvoller als Patente?

wwelti

Ich hoffe aber schon, Dir ist klar, wie grotesk viele Patente heutzutage sind? ;)

apfelrockt

Sorry, aber unter all den Problemen mit denen sich die Welt gerade rumschlägt schafft es dieses vielleicht auf Platz 651 meiner persönlichen alles muss besser werden to-do list.
es ist bereits alles gesagt, nur noch nicht von jedem

TERMInator

Zitat von: apfelrocktSorry, aber unter all den Problemen mit denen sich die Welt gerade rumschlägt schafft es dieses vielleicht auf Platz 651 meiner persönlichen alles muss besser werden to-do list.
Dann können wir ja diese Forum hier dicht machen und uns alle in den Die-wichtigsten-Themen-dieser-Welt-Foren betätigen statt über unwichtige Ukulelen- oder Musikprobleme zu reden  :roll:

wwelti

Viele nun im Gutenberg-Projekt frei zugängliche Werke, die eine MENGE über Geschichte erzählen, wären dann nicht mehr zugänglich. Doch aus der Geschichte (und auch gerade aus der nicht allzu fernen Geschichte!) sollte die Menschheit lernen -- je mehr desto besser.

Bildung (auch politische!) ist ein extrem wichtiges Puzzle-Teil zur Lösung der 650 \"wichtigeren\" Probleme dieser Welt. Diese ist leider ein sehr kompliziertes Gebilde, in dem alles irgendwie etwas mit allem zu tun haben kann...

Viele Grüße
  Wilfried

Juttalele

Als ob Bildung nur über diese speziellen Werke, die dann nicht mehr kostenlos zugänglich wären (andererseits nach wie vor zugänglich sind für jene, die wirklich daran interessiert sind, z. B. auch kostenlos über Leihbüchereien ...) passiert. Es gibt gegenwärtig viele Menschen, die schreiben, denken, reden, die leben, und dies womöglich noch eine ganze Weile, Geschichten erzählen, Bilder malen, Musik komponieren, Lieder für alle kostenlos via youtube ins Netz stellen und und und ... und ... ein Weltuntergangsforum ist das hier hoffentlich auch (noch) nicht.

Dies ist in diesem Thread mein erster und letzter Beitrag ... meine eindeutige Intention ist \"Lichtblicke\" schaffen! Und dabei bleibts auch.

wwelti

#9
Wer redet hier von Weltuntergang?

Es geht lediglich darum, daß 30 Jahre an momentan gemeinfrei zugänglicher Literatur, die ich auch für z.T. sehr wertvoll halte, auf einmal sehr viel schwieriger zugänglich würden. Und das fände ich halt sehr schade, so einfach ist das. Und sehr vieles davon ist auch Musik. Z.B. die Werke von Satie, die ich grandios finde.

Mag sein daß wir das unterschiedlich bewerten, damit werden wir dann wohl leben müssen... ;)

Kleiner Nachtrag: Im schlimmsten Falle würde das Dich aber doch eigentlich auch treffen... In Deinem Liederbuch sind doch auch zahlreiche Volkslieder, und man muß ja eigentlich bei jedem Lied den Status der Gemeinfreiheit recherchieren und wenn notwendig, beim Rechteinhaber nachfragen. Wenn jedoch auf einmal die Gemeinfreiheit 30 Jahre nach hinten verschoben wird, bedeutet das u.U. leider für viele Werke sozusagen eine Statusänderung. Das gab es schließlich auch in der Vergangenheit schon mal, daß gemeinfreie Werke auf einmal wieder \"nicht gemeinfrei\" wurden.

Für mich würde das auch bedeuten, daß ich meine E-Books ausdünnen müsste, was mir gar nicht schmecken würde.

Viele Grüße
  Wilfried

hilli2

#10
Zitat von: apfelrocktSorry, aber unter all den Problemen mit denen sich die Welt gerade rumschlägt schafft es dieses vielleicht auf Platz 651 meiner persönlichen alles muss besser werden to-do list.


Hallo Apfelrockt,

Du hast sicher recht damit, dass es (wie immer) dramatischere Dinge gibt in dieser Welt. Dies ist allerdings kein Argument dafür, sich alles andere (was nicht \"so dramatisch erscheint\") widerstandslos gefallen zu lassen!

Wir leben zum Glück in einem demokratischen Land, in dem jeder zu jedem Thema, das ihm wichtig ist, seine Meinung äußern darf....


Korrektur:

Wir leben in einem Land, das seit der \"Europäisierung\" die Demokratie und einige Rechte (meist Indiviudalrechte zugunsten Wirtschaftsinteressen - danke, Carouso)  in einigen Bereichen schon deutlich eingeschränkt hat und in dem es genau aus diesem Grund unerlässlich ist, zu JEDEM Thema, das einem wichtig erscheint, seine Meinung zu äußern! Großes Unrecht geschieht in den wenigsten Ländern aus dem Nichts heraus! Meist geht großem Unrecht die Einschränkung solcher Rechte voraus, die man als vielleicht gar nicht so wichtig erachtet (Beispiel: Viele Menschen finden freie Wahlen nicht wichtig, weil \"Das sowieso nichts ändert\" - sollten deshalb freie Wahlen perspektivisch abgeschafft werden?).

Jeder kann bzw. sollte imho in seinem Rahmen dazu beitragen, dass für ihn wichtige Grundrechte, Regelungen etc. beibehalten und nicht eingeschränkt oder abgeschafft werden!

Kristina
***Music was my first love...***

Caruso

#11
Wie wwelti ganz zu recht im ersten Beitrag kritisiert, dient solche eine Gesetzesänderung den großen Rechteverwertern und letztlich weniger realen Personen, geschweige denn den eigentlichen Urhebern von Werken.
Es geht hier darum, die wirtschaftliche Verwertbarkeit von jedwedem Ding zu installieren und zu steigern. M.E. ist uns diese Denkart derart paradigmatisch zu eigenen, dass wir sie gar nicht mehr hinterfragen, sondern als gegeben hinnehmen. Zugleich zeigt sich hier die Selbstläufigkeit des wirtschaftlichen Systems und die Bereitschaft derer, die davon ausgehen, dass der allgemeine Fortschritt im Wohlergehen der Menschheit nur durch eine Entfesselung der Wirtschaft und deren Wachstum gelingen kann.

Naja, bla bla... Es mag schlimmeres und größere Probleme geben, aber es ist gar nicht so weit vom Urheberrecht nach Lampedusa. Amen.
Ich finde, dass man das konsequent handhaben sollte und auch sämtliche religiösen Texte und Lieder bis zurück zu den ersten Tontafeln urheberrechtlich festklopfen sollte - und solange die Urheberschaft nicht zweifelsohne feststeht, sollte es verboten sein, die Texte laut auszusprechen oder zu singen. Vom Drucken mal ganz abgesehen.  ;)

kmklw

Andererseits wird es auch gerade im Musikbereich immer üblicher alles umsonst haben zu wollen - wir möchten möglichst unseren Unterricht kostenfrei auf youtube genießen, sind empört, wenn Konzerte Geld kosten, möchten Musikproduktionen möglichst kostenfrei \"downloaden\" oder kopieren - entschuldigen das alles damit, dass ja sowieso nur die Großen verdienen, die es ja eigentlich gar nicht nötig haben.

Ich bemühe mich nun schon seit über 20 Jahren mit Musik eine Lebensgrundlage zu schaffen und eine Familie zu ernähren - und kann es irgendwie nicht mehr so recht hören, denn gerade die \"kleinen\" Professionellen bekommen es meiner Meinung nach sehr stark zu spüren. Veranstalter wollen keine Gagen bezahlen, weil sie immer jemanden finden der es umsonst macht; Noten zu verlegen lohnt sich nicht mehr, weil es alles irgendwo umsonst als E-Book oder Tab mehr oder weniger legal gibt - mein Plattenlabel habe ich vor einigen Jahren abgewickelt, weil sich alles nicht mehr gelohnt hat. Unterricht, den wir anbieten ist eigentlich grundsätzlich immer zu teuer und so weiter.

Ich mach als Musikschule und in anderer Funktion seit Jahren Veranstaltungen und hab die zu leistenden Gema-Abgaben z.B. nie als zu hoch oder ungerechtfertigt empfunden und hab alles immer irgendwie finanziert bekommen. Für meine Musikschule zahle ich regelmäßig die Lizensgebühren für die Möglichkeit, legal Noten zu kopieren und das ist alles gar kein Problem, sondern eine Frage der Kalkulation.

Ich sage: ohne Geld und ohne Vergütung keine Kunst - wieviel angemessen und gerechtfertigt ist, darüber kann man sich sicher streiten - aber für mich liegt das Problem eher woanders.

wwelti

Ich denke nicht, daß es insgesamt gesehen wirtschaftsschädigend ist, wenn es einen weltweiten, kostenfreien Zugriff auf das kulturelle Erbe (also Werke längst verstorbener Autoren) der Menschheit gibt. Letztendlich wäre es in der Summe für die gesamte Menschheit ein großer Gewinn.

Außerdem finde ich es nicht gut, wenn sich wenige große Konzerne anmaßen, de facto dieses kulturelle Erbe zu ihrem \"Besitz\" zu machen, und davon auf Kosten der Allgemeinheit zu profitieren.

Ich bin vollkommen davon überzeugt, daß die Verfügbarkeit dieses kulturellen Erbes nicht ein Problem, sondern eine Bereicherung für jeden Kreativen und Musikschaffenden ist.

Dies ist meine Meinung, und die wollte ich hier nochmals klar zum Ausdruck bringen.
Viele Grüße
  Wilfried

apfelrockt

Ich weiss jetzt nicht wieso du hilli2 explicied das Recht auf freie Meinungsäusserng betonst? Hast du den Eindruck man mache davon keinen Gebrauch?

Ich habe nie verstanden wieso geistiges Eigentum im Gegensatz zum materiellen, nach Ablauf einer Frist zum Allgemeingut wird, solange es halt Erben gibt. Kein Mensch käme auf die Idee ein Haus 70 Jahre nach Tod des Erbauers zum Allgemeingut zu erklären.
es ist bereits alles gesagt, nur noch nicht von jedem